Frühling 2019: Feminismus

Nervig, unnötig, abstrakt: Warum wir Feminismus nicht verstehen

In meinem Freundeskreis gibt es kaum Feministinnen und Feministen. Höchstens eine Handvoll hat sich offen zu feministischen Werten positioniert, als ich danach gefragt habe – nach einigem Zögern. Das ist nicht Symbol für eine protestfaule Jugend, sondern bezeichnend dafür, wie Feminismus in unserer Gesellschaft dasteht.

29. April 2019 - 11:38
SPIESSER-AutorIn dielotte.
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dielotte Offline
Beigetreten: 21.02.2018

Es ist ein schwammiger, zäher Begriff, keiner weiß so richtig, worum es geht, und die meisten finden's „schon eher übertrieben“. Denn das ist der erste und größte Streitpunkt: ob es Feminismus wirklich braucht. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, Männer und Frauen sind nach dem Grundgesetz gleichgestellt und haben identische Rechte und Pflichten in Arbeit, Sozialleben und Familie.

Das ist Anlass für die meisten, sich zurückzulehnen. So bleibt die feministische Diskussion oft an der Notwendigkeitsfrage hängen. Es geht dann um die Glaubwürdigkeit von Statistiken und Umfragen, statt um die Umsetzung. Oder das Gespräch schwenkt um und man beginnt, auf Frauen herumzuhacken, sie sollen sich doch nicht so haben: die Voraussetzungen seien gegeben, jetzt läge es eben an ihnen, sich von  Geschlechterklischees zu befreien und ihre Rechte auszunutzen. Vielleicht ist aber die oberste Instanz nicht immer unser Gesetzbuch, sondern der Umgang unserer Gesellschaft miteinander.

„Die feministische Diskussion bleibt viel zu oft an der Notwendigkeitsfrage hängen.“

Feministinnen und Feministen sind über die Notwendigkeits-Diskussion hinaus, schließlich ist der Bedarf Grundlage für ihre Bewegung. Wer sich Feministin oder Feminist nennt, bekennt sich damit zu einer Reihe von Tatsachen, vor allem: 1. Es gibt in unserer Gesellschaft Sexismus und das ist ein Problem. Und 2. Daran kann eine Protestbewegung etwas ändern. Dadurch heben sie sich von anderen ab und werden eine exklusive Gruppe, deren Beitritt einem Parteieintritt nahekommt.

Aber das liegt nicht an den Aktivistinnen und Aktivisten selber, sondern der sonstigen Situation! So wirkt Feminismus für einige, als würde er Probleme in unserer heilen Welt suchen. Doch die Bewegung ist ja nicht neu: Angefangen mit Olympe de Gouges‘ Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin von 1791 über Proteste für die sexuelle Selbstbestimmung in den 70ern und die Einführung von Weltfrauenkonferenzen können wir heute von der vierten Welle sprechen und auf 100 Jahre Frauenwahlrecht zurückblicken. Schön, was andere in der Vergangenheit erreicht haben. Aber warum ist das nicht ein Anstoß, sich mit den weiteren Problemen zu befassen?

„So eindeutig wie ‚weniger Autofahren‘ ist feministisch korrektes Handeln nicht.“

Es gibt ja viele Missstände, gegen die meine Freunde und ich auf die Straße gehen. Münchner Demos gegen die Hetzpolitik der CSU, utopische Mietpreise oder das neue Polizeiaufgabengesetz zählten letztes Jahr zehntausende Anhänger, darunter viele Jüngere. In dieser Reihe kann Feminismus nicht mitspielen, obwohl er ja mindestens jede zweite Person betrifft – aber Feminismus ist weniger greifbar. Denn das Wort selbst benennt weder einen Missstand wie Rassismus, gegen den man protestieren kann, noch eine Ideologie wie den Kommunismus, für die man sich einsetzen kann. Die Autorin Sarah Bosetti bringt es in Feminismus nervt auf den Punkt: „Es fühlt sich seltsam an, einem -ismus anzugehören, von dem man wünscht, es gäbe ihn nicht.“ Feminismus bezeichnet den Kampf, als notwendiges Übel, gegen Sexismus. 

Feminismus-Forderungen stellen unsere alltäglichen Privilegien an den Pranger. Das ist fast schon typisch für aktuelle Proteste: Jeder Einzelne steht durch persönliche, luxuriöse Entscheidungsfreiheit oft am Anfang einer Kette des Elends – beim Klimaschutz und Kleidungskonsum etwa können das schon Viertklässler runterbeten. Aber so eindeutig wie „weniger Autofahren und auch mal Duschen statt Baden“ ist feministisch korrektes Handeln eben nicht. Ich habe noch nie einen Radiomoderator gehört, der mich früh morgens darauf hinweist, auch mal klassischen Rollenbildern zu widersprechen oder im neuen Jahr öfter korrekt zu gendern. Die einzigen, die uns das weismachen, sind Journalistinnen und Journalisten, vielleicht Ethiklehrerinnen und -lehrer und ab und zu Protestwellen auf Twitter oder Instagram. Mit einem Wort: Feministinnen und Feministen. Daher folgt auf diesen unbequemen Protest oft Unverständnis. Und solange man seine Notwendigkeit in unserer Gesellschaft hinterfragen kann, ist der Sündenbock die Bewegung selbst.

„Es geht immer um den Willen zur Auseinandersetzung, die durch das Internet so einfach wie nie ist.“

Sich nun über die Ignoranz von Antifeministinnen oder Antifeministen zu empören wäre so einseitig wie das eigentliche Leugnen. Meiner Meinung nach sollten wir den Themen Sexismus und Feminismus lieber einmal selbst nachgehen. Klar gibt es dazu Studien, aber viel wichtiger noch: es gibt persönliche Erfahrungen unter Freunden, die einem vielleicht nie aufgefallen sind. Man könnte einen Moment innehalten, wenn zum Beispiel sexuelle Übergriffe auf dem Oktoberfest als ganz normal – ja als Tradition – abgehandelt werden. Und solche Stutzer können wir zum Anlass nehmen, uns über den historischen Hintergrund von Feminismus zu informieren oder auf Seiten wie genderdings.de feministische Argumente zu sammeln. Ich glaube, es geht immer um den Willen zur Auseinandersetzung, die durch das Internet so einfach wie nie ist. Um nochmal auf Sarah Bosetti zurückzukommen: „Wenn ihr genervt seid vom Feminismus […], dann entzieht ihm doch seine Notwendigkeit!“. Texte wie ihre helfen mir, den Feminismus zu verstehen. Damit wir ihn jetzt gemeinsam umsetzen können.

Text: Lotte Ziegler, sieht sich selbst als erst am Anfang ihrer Auseinandersetzung mit dem Feminismus.
Fotos: Linus Ziegler   
Teaserbild: Lena Schulze

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