Nachgefragt

„Sinnfluencer sind die nächsten Influencer“

Bildungscreator erobern unsere Newsfeeds. Einer von ihnen ist Tobias Jost, besser bekannt als karriereguru. Im Interview mit Redakteurin Tabea hat er verraten, was ihn
antreibt, Social Media zu seinem Beruf zu machen und welche Rolle soziale Netzwerken seiner Meinung nach in Zukunft für die Bildung spielen.

15. September 2021 - 14:26
SPIESSER-Redakteurin grünerTee.
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grünerTee Offline
Beigetreten: 14.01.2013

Tobias, du bist ja tatsächlich erst im Januar letztes Jahr als „karrereguru“ gestartet – was war dein Antrieb?

Ich hatte als ich noch in der Schule war niemals das Gefühl, ich wäre gut vorbereitet auf das, was da mal kommt. Zudem hatte ich im Rahmen von Praktika während meines Studiums auch nie das Gefühl, dass die Arbeitgeber es so richtig ernst mit mir meinen. Ich war halt so eine Ressource, die eine freie Stelle gefüllt hat.

Ich habe mich dann in die Selbständigkeit gestürzt und schnell gemerkt, dass man wenig hat, um gutes Talent anzuziehen. Man hat kein Budget, um sie gut zu bezahlen, keine große Brand – aber man hat das Versprechen: Bei mir lernst du besonders viel. So habe ich die Leidenschaft entwickelt, mit jungen Talenten zusammenzuarbeiten. Nach Verkauf meiner letzten Firma und einer kleinen Kreativpause hatte ich dadurch meine Berufung gefunden: Ich wollte die Person sein, die mir selbst früher immer gefehlt hat.

Ich wollte die ganze Komplexität aus der Arbeits- und Berufswelt rausnehmen und sie leicht verständlich, in der Sprache der Jugend aufbereiten und sie dort erreichen, wo sie ist. Mein Ziel ist es als Karriereguru, den beruflichen Kompass meiner Community so früh wie möglich zu justieren. Es ist nicht der Anspruch, dass alle meine Follower mit 18 wissen wer sie sind, aber sie sollten da zumindest mal eine Perspektive einnehmen können, die die Chancen für eine Punktlandung im Job erhöhen.

Wann war der Punkt erreicht, an dem du gemerkt hast, dass du vom Karriereguru-Sein leben kannst?

Ich bin tatsächlich schon mit dem Geschäftstrieb gestartet. Mitte 2019 hatten meine Mitgründer und ich unsere Firma verkauft – wir waren jahrelang in der Digitalbranche und haben Software gebaut. Ich bin also kein Personaler, sondern in ich bin durch Leidenschaft da reingewachsen. Und will dieses Wissen nutzen, um meinen Followern einen geilen Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen.

Auf der anderen Seite möchte ich aber auch erfahren, wie es denn ist, selbst das Produkt zu sein – also eine Art Personal-Brand. Ich habe vorher Software verkauft und in meiner ersten Firma Obst verkauft – aber wie ist es denn, wenn ich mich selbst verkaufen muss? Das will ich wissen. Ich hatte vor meinem Start schon viel über Creator-Economy gelesen, fand das sehr spannend und wollte da Fuß fassen – außerdem hatte einfach ein sehr großes Mitteilungsbedürfnis. (lacht) Ich wusste also noch nicht genau wie das alles wird, aber ich wusste, dass ich mit meiner Tätigkeit als Creator Geld verdienen will. Von meinem Start bis zur ersten Kooperation ist dann etwa ein halbes Jahr vergangen.

Jetzt lesen:
Interview mit Dr. med. Sheila de Liz aka @doktorsex

 
Du bist ja als Karriereguru auf verschiedenen Plattformen aktiv, die meisten Follower hast du aber auf TikTok, einer Plattform, die eigentlich für ihre Lipsinc-Videos bekannt ist. Warum kommen deine Inhalte gerade da so gut an?

Bei YouTube zum Beispiel gibt es 70 Millionen Channel – da wurde jedes Thema schon in allen Variationen durchgekaut. Zusätzlich werden dort Videos hochgerankt, die schon eine hohe Reichweite haben. Dadurch bist du mit neuem Content schlecht zu entdecken. Tatsächlich habe ich auch selbst auf YouTube angefangen und schnell begriffen, dass es schwer ist, dort organisch an Reichweite zu gewinnen. Nach zwei Monaten hatte ich dann das Bild meiner Zielgruppe stärker geformt und mir wurde klar, dass ich den jungen Menschen mehr Orientierung geben will und nicht dem 50-Jährigen erklären will, wie er im Job glücklich wird.

Als ich TikTok dann gesehen habe, habe ich erstmal selbst viel konsumiert und dann irgendwann den ersten Bildungscreator entdeckt und dachte: Wow. Mir wurde klar, was ich tun muss, um wie er Bildungsinhalte in 60 Sekunden zu verpacken: die Komplexität reduzieren. Ich habe angefangen zu skripten und erstmal damit begonnen, Berufe vorzustellen. Mein erstes Format war dann „1 Minute Traumberuf“. Damit war ich erstmal ein Exot auf TikTok, aber mein Content wurde dankend angenommen.

In Amerika gibt es sogar einen eigenen Feed für Bildungsinhalte. Letztes Jahr war ich dann auch Teil der #LernenMitTikTok-Kampagne, mit der genau solche Bildungsinhalte gefördert wurden.

Aktuell nutzen die meisten von uns soziale Netzwerke ja vor allem zur Unterhaltung. Meinst du das bleibt so? – Welches Potenzial schlummert deiner Meinung nach noch in sozialen Netzwerken in Bezug auf Bildungsinhalte?

Ich würde behaupten, dass die Sinnfluencer die nächsten Influencer sind. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es auf andere Werte ankommt, als auf tolle Autos und Klamotten. Und das sind entweder Humor oder informativer Content. Corona hat Bildungscreatorn aus meiner Sicht einen enormen Push gegeben.

Wie bist du auf deinen Künstlernamen gekommen?

Als ich auf YouTube gestartet bin, habe ich mich „GenerationXYZ“ genannt, weil ich damals von der Zielgruppe her noch nicht ganz klar war und dachte ich will auch eine Brücke zwischen den Generationen schlagen. Auf TikTok habe ich dann gemerkt, dass der Name nicht personifiziert genug ist und mehr nach einem Unternehmen klingt. Eines meiner Videos habe ich dann irgendwann mal so eingeleitet: „Hallo ich bin Tobias, dein persönlicher Karriereguru“ und das habe ich dann beibehalten. Passt auf irgendwie zu mir mit den langen Haaren. (lacht)

Wie war damals dein Übergang von der Schule ins Berufsleben – wusstest du immer, was du machen willst?

Nach der Grundschule hatte ich nicht den Schnitt, um auf die Realschule oder das Gymnasium zu gehen und bin erstmal auf der Hauptschule gelandet. Da hat mich dann so der Ehrgeiz gepackt, dass ich nur noch Einsen geschrieben hatte und direkt auf die Realschule versetzt wurde. Dort musste ich das Jahr wiederholen. Dann habe ich dort meinen Realschulabschluss gemacht, im Anschluss das Fachabi und schließlich den Bachelor in Betriebswirtschaftslehre. Meinen Masterplatz hatte ich dann schon sicher, habe mich aber für die Selbständigkeit entschieden.

Du kennst karriereguru noch nicht?
Schau doch mal bei ihm auf TikTok vorbei!

Warum sind deiner Meinung nach so viele junge Erwachsene zum Ende ihrer schulischen Laufbahn noch so unentschlossen und ratlos, was ihre berufliche Zukunft angeht?

Ein Grund ist das persönliche Umfeld. Man ist ja nur die Summe der Menschen, mit denen man sich umgibt. (lacht) Was ich meine: Dadurch, dass man so eng mit seinen Kommilitonen und Klassenkameraden ist, wird überhaupt nicht so richtig die Individualität gefördert. Man denkt sich: Wenn die alle beispielsweise in die Unternehmensberatung wollen, dann will ich das auch. Man hat da irgendwie kein eigenes Gedankengut. Und dann merkt man leider erst im Praktikum oder Job, dass das eigentlich nicht passt.

Außerdem ist da noch die mangelnde Aufklärung in der Uni und der Schule. Es gibt keinen Theorie-Praxis-Transfer – selbst in der Fachhochschule nicht. Viele Studenten und Schüler hinterfragen immer wieder – wofür mach ich das eigentlich?

Was hältst du von den aktuell praktizierten berufsvorbereitenden Maßnahmen in der Schule? Du meinst diese einwöchigen Schülerpraktika?

Also ich denke, die Arbeit, die man dort tatsächlich leistet, die kann man sich sparen. Aber den Bewerbungsprozess und alles was da zwischen den Zeilen passiert, halte ich für wertvoll. Dieses sich mal um was kümmern, Mut beweisen, selbst eine Stelle finden – das ist wichtig. Das könnte man aber sicher noch besser in den Unterricht integrieren und auf eine andere Ebene bringen. 

Wann sollte man deiner Meinung nach damit anfangen, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, was man mal werden will?

Ich bin immer erstaunt, dass die Mädels in meiner Community deutlich früher darüber nachdenken – schon so zwei, drei Jahre vor dem Abschluss. Bei den Jungs ist es häufiger ein: Oh jetzt habe ich meinen Abschluss, jetzt muss ich ja echt was finden. (lacht) Aber ich denke schon, dass es wichtig ist, sich im Vorfeld mit der beruflichen Zukunft auseinanderzusetzen – auch, weil man im Abschlussjahr genug um die Ohren hat.

Und sollte man bei dieser Orientierung nach seinen eigenen Schulnoten gehen?

An den Schulnoten kann man schon viel ableiten. Also, wenn man in Physik oder Mathe ein gewisses Verständnis hat, dann spricht schon einiges dafür, dass du der analytische Typ bist. Schulnoten allein sollten aber nicht pauschal ausschlaggebend für den Berufswunsch sein. Es gibt noch viele andere Eigenschaften aus dem Schulumfeld, die einem da helfen können, wie zum Beispiel die Arbeitsphilosophie, Sprachbegabung, Kreativität oder die eigene Lernphilosophie. Und die alle zusammen können einem da Indizien geben, was gut zu einem passen könnte.

Aber ich finde, man muss sich auch abseits der Schule mal hinterfragen. Bei welchen Tätigkeiten kommt man in einen Flow, was tut man gern, wofür hat man ein Talent – und ganz wichtig: Was zeichnet eben diese Tätigkeiten aus? Dieses Wissen kann man dann auf mögliche Jobanforderungen übertragen.

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Interview mit Dipl. Math. (FH) Nicolas Klupak aka @mathe.nick

 
Es gibt ja viele junge Menschen, die nicht sofort die richtige Ausbildung für sich finden. Was können die tun, damit sie nicht in ein Motivationsloch fallen?

Erstmal muss man begreifen, dass Niederlagen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass man Erfolg hat. Also, wenn du keine Fehler machst, entwickelst du dich auch nicht weiter. Erst, wenn eben nicht alles wie am Schnürchen läuft, entwickelt sich was – die Erfahrung habe ich selbst schon einige Male gemacht. Und das predige ich auch meiner Community: Wegzukommen von dem perfektionistischen Gedanken und sich aktiv in die unsicheren Gewässer zu begeben. Denn nur dann wächst man auch. Außerdem muss man sich realistische Ziele setzen, um sie erreichen zu können und sich von der Außenwelt – wie zum Beispiel dem Klassenbesten – gedanklich abkoppeln. Man muss sich eben selbst treu bleiben und sich von den Meinungen anderer loslösen.

Außerdem muss und kann man nicht immer auf die Motivation warten, um was anzupacken, sondern muss ab und zu einfach den eigenen Schweinehund überwinden. Gutes Beispiel ist Sport: Man hat keine Lust, aber wenn man es dann trotzdem macht, fühlt man sich danach wie der King. Die Motivation kommt also erst später – und die muss man sich dann möglichst bewahren.

Gab es in deiner beruflichen Laufbahn auch mal Rückschläge? Wie bist du damit umgegangen?

Natürlich, sowas habe ich auch schon erlebt. Aber ich finde das wie gesagt auch wichtig. Ich lebe jetzt seit zwei Jahren nach dem Prinzip, dass ich jeden Tag mindestens einmal meinen Schweinehund überwinden muss. Ich tue etwas, was ich sonst nicht tun würde und das hilft mir dann, mich in unsichere Situationen zu begeben, in denen ich dann auch mal nervös bin.

In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr junge Erwachsene nach der Schule für ein Jahr „Pause“ entschieden – Stichwort: Work and Travel, Freiwilligendienst, FSJ etc. Was hältst du von dem Trend?

Ich finde das sind ganz wertvolle Möglichkeiten, die man, wenn man es kann, in Anspruch nehmen sollte. Man muss sich ja nicht künstlich dazu zwingen, nach der Schule gleich die Karriere anzupacken, wenn man die Möglichkeit hat, andere Perspektiven zu tanken. Ich habe selbst während meines Studiums ein Vierteljahr eine Art Work-and-Travel in Südafrika gemacht – und das war unheimlich bereichernd. Man kommt dann da an, ganz auf sich gestellt, muss sich durchbeißen, neue Leute kennenlernen – das sind einfach wertvolle Erfahrungen.

Was war denn dein erster Berufswunsch als Kind?

Archäologe – nachdem wir Ausgrabungsstätten bei uns im Dorf hatten. (lacht) Tatsächlich haben mich die Erdgeschichte, aber auch das Universum schon immer besonders fasziniert. Aber klar auch ich hatte Phasen, in denen ich mal Profifußballer werden wollte. (lacht)

Text/Fragen: Tabea Grünert

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Kommentare

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  • Pinguin von Nebenan
    5
    Meinung

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    Instagram, Tumblr, TikTok, YouTube, Twitter – beinahe jeder ist heutzutage auf irgendeiner Plattform unterwegs. Sie sind gerade jetzt, in Zeiten von Corona, unsere Verbindung zu Freunden, der Familie und der ganzen Welt. Aber irgendwie machen sie uns gleichzeitig auch einsam, findet SPIESSER-Autorin Lea.

  • DennisZ
    Was'n da los?

    Wie viel Wissen steckt in Social Media?

    Von TikTok hat jeder schon mindestens einmal gehört oder es sogar selbst genutzt. Die Plattform hat sich gerade in den vergangenen anderthalb Jahren auch sehr als moderne Bildungsplattform mit hohem Unterhaltungsfaktor etabliert. Durch Bildungscreator, die sich im Hashtag #LernenMitTikTok vereinen,

  • Freigeistgefluester
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  • Alaniel
    5
    Was'n da los?

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    Nahezu jeder Jugendliche nutzt die sozialen Medien, ohne sie ist es schwierig in der digitalisierten Welt. Neben den Etablierten wie Twitter und Facebook kommen auch ab und zu neue Dienste und somit auch neue Probleme. Was bedeutet das für das Miteinander im Social Media?