Was'n da los?

Wie viel Wissen steckt in Social Media?

Von TikTok hat jeder schon mindestens einmal gehört oder es sogar selbst genutzt. Die Plattform hat sich gerade in den vergangenen anderthalb Jahren auch sehr als moderne Bildungsplattform mit hohem Unterhaltungsfaktor etabliert. Durch Bildungscreator, die sich im Hashtag #LernenMitTikTok vereinen, vermitteln Experten ihr Fachwissen – beispielsweise in Bezug auf Karriere, Mathe, Recht oder auch Gesundheit. SPIESSER-Autor Dennis hat den Hashtag und die Sinnfluencer dahinter genauer unter die Lupe genommen.

21. October 2021 - 12:40
SPIESSER-AutorIn DennisZ.
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DennisZ Offline
Beigetreten: 27.11.2018

TikTok – Früher mal bekannt unter dem Namen Musical.ly – kennt wohl mittlerweile jeder. Die App wird vor allem von jungen Leuten genutzt. Zu sehen sind neben vielen Tanzeinlagen, ziemlich witzigen Comedians und skurrilen Challenges zunehmend auch Bildungscreator. TikTok selbst hat das gefördert und den Hashtag #LernenMitTikTok ins Leben gerufen. Experten mit echtem praktischen Fachwissen aus verschiedenen Lebensbereichen zeigen sich hier und setzen – inzwischen unter Eigenregie – regelmäßig lehrreiche und zugleich unterhaltsame Videos um. Das Wissen reicht hier von Tipps und Tricks zum Kochen bis hin zu psychologischen oder sogar juristischen Fakten.

TikTok selbst hat im Jahr 2020 ein Budget von 4,5 Millionen Euro eingeplant, um Bildungscreator aktiv zu fördern.


Die wichtigsten Sinnfluencer auf TikTok

Stichwort: Jura. Ganz vorne mit dabei ist Herr Anwalt (@herranwalt), einer der bekanntesten deutschen TikToker. Mit 3,9 Millionen Followern und circa 172 Millionen Likes auf seinen Videos bringt der studierte Jurist Paragraphen und Rechtsangelegenheiten in das TikTok-Universum. Mit Erfolg. Fragen, die erklärt, sind beispielsweise: Darf mir der Lehrer verbieten, auf Toilette zu gehen? Oder was darf ich eigentlich, wenn ich 18 bin? All das klärt er auf und stützt sich dabei auf juristische Fakten.

Wissen in wenigen Sekunden

Der Hashtag #LernenMitTikTok hat schon über 7 Milliarden Views. Ziemlich viel, wenn man sich überlegt, dass TikTok eigentlich als eine reine Unterhaltungs-Plattform gilt. Diese enorme Zahl ergibt sich aus den Views aller Videos mit dem Hashtag.

Für die Förderung der lehrreichen Kurzvideos hatte die Plattform selbst im Jahr 2020 ein Budget von 4,5 Millionen Euro eingeplant, um Bildungscreator aktiv zu fördern. Neben Herrn Anwalt wurden weitere TikToker ins Boot geholt. Unter anderem die Deutschlehrerin @dein_sprachcoach, Fotograf @charly_schwarz, der Mediziner @doc.felix, der Mathelehrer @mathe.nick, der Experte für Karriere und Beruf @karriereguru oder auch die Fachmediziner für Gynäkologie und Urologie @doktorsex. Den verschiedenen Experten merkt man ihre Expertise in jedem Video an und die Aufmachung der Videos ist – trotz Unterhaltungswert und kreativer Umsetzung – schlichtweg seriös. Die hohen Likes und View-Zahlen ihrer Videos zeigen, dass sie genau damit bei der Community ankommen. Gerade die Corona-Pandemie hat diesen Videoproduzenten einen großen Push gegeben. Und sie gehören zu den Stars – zumindest im deutschsprachigen Raum.

Natürlich springen immer weitere Creator mit ihren verschiedenen Themen auf den Wissenszug auf und erstellen Videos in ihrem Stil. Nur selten findet man dadurch unter dem Hashtag ein Video, das fehl am Platz ist.

!Achtung!
Bei einer mehrfachen täglichen Nutzung von sozialen Netzwerken spricht man von einer klaren (Social-Media-) Sucht.
Bildungspotenzial ausgeschöpft?

Ein genauer Blick auf die deutsche TikTok-Community zeigt, dass die Plattform von 46 Prozent der User täglich genutzt wird. Nicht nur einmal, sondern sogar bis zu zehnmal. Damit schießt die deutsche Community sogar die amerikanischen User vom Thron, denn diese nutzen Tik Tok im Durchschnitt „nur“ achtmal am Tag. Unterm Strich kann man also sagen, dass die deutsche Community von dem Phänomen TikTok ziemlich fasziniert ist. Im Mai 2020 knackte die Plattform sogar ihren Downloadrekord in Deutschland. Allein in diesem Monat wurde die App 522.670 Mal, nur über den App-Store, runtergeladen und von 5,5 Millionen Usern aus Deutschland genutzt. Durchschnittlich verbringen die dann 39 Minuten täglich mit den Kurzvideos. Im Monat sind das hochgerechnet immerhin 19 Stunden. Und genau hier setzt das Problem der App an. Social Media ist so was wie das neue Fernsehen oder ganz früher Radio: Der Fokus im Konsum lag und liegt auf der Unterhaltung und weniger in der Wissensvermittlung. Klar wurden und werden am Rande weiterhin einige Fakten oder lehrreiche Inhalte geteilt, aber die sind zweitrangig.

Vor dem Hashtag #LernenMitTikTok gab es sogar schon einen gleichnamigen und eigenständigen Account @lernenmittiktok.

Vor allem gibt TikTok in seinem Grundaufbau das nicht her – jedenfalls noch nicht. Die For You Page – also die Startseite, die individuell auf jede Userin und jeden User zugeschnitten ist – folgt einem Algorithmus und gibt ähnliche Inhalte wieder, die man auch zuvor gelikt, kommentiert oder versendet hat. Heißt: Wer sich normalerweise keinen Bildungscontent ansieht, bekommt ihn auch nicht so schnell vorgeschlagen. Und vielleicht erscheinen Herr Anwalt und Co. nur mal aus Zufall kurz auf ihrer For You Page. Also, wenn es um ein zielorientiertes Lernen geht, ist TikTok wohl (bisher) eher die falsche Plattform. Es handelt sich eher um ein „Undercover Lernen“ – viele User lernen etwas in einem unerwarteten Moment.


Die wichtigsten Sinnfluencer auf Instagram

Übrigens: Vor dem Hashtag #LernenMitTikTok gab es sogar schon einen gleichnamigen und eigenständigen Account @lernenmittiktok. Dieser wirbt in seiner Bio, also der Profilbeschreibung, mit spannenden Fakten in unter 30 Sekunden. Sein Versprechen hält der Account auch, aber es bleibt auch nur bei spannenden Fakten oder „Sachen, die man auf einer Party erzählen kann“. Ob es nun der größte Apfel der Welt ist, das älteste Baby oder die Länder mit dem niedrigsten Durchschnitts-IQ. Insgesamt vermittelt der Account also sehr unnützes Wissen, das vielleicht bei „Wer wird Millionär?“ abgefragt werden würde.

Vorbild YouTube

Dass man mit sozialen Medien gut lernen kann, haben vorher schon diverse andere Plattformen unter Beweis stellen können. Vorreiter hierbei ist sicher YouTube. Egal, ob für Matheformeln, englische Zeitformen oder eine chronologische Abfolge des Zweiten Weltkriegs. Auf YouTube kann man einen Tag vor der Klausur alles lernen – und oftmals sind die Videos, die man dort findet, besser als die eigenen Lehrer. YouTube hat es also geschafft, Unterhaltung und Wissen zu kombinieren, ohne das selbst aktiv initiiert zu haben.

Ein YouTuber, den wohl alle Schüler kennen, ist Daniel Jung. Seine Mathe-Videos haben die ein oder andere Mathe-Klausur gerettet. Mittlerweile hat er 795.000 Abonnenten und über 2.700 Videos rund um das Fach Mathe. Von Prozentrechnung bis hin zu hochgradig komplexen Matrizen hat er alles in petto. Weitere Beispiele für erfolgreiche Lernkanäle sind MrWissen2go, maiLab und Explainity. Sie erklären Themen aus unterschiedlichen Gebieten oder bereiten politische Debatten anschaulich auf. Solche Videos sind ganz klar eine einfachere, aktuellere und ansprechendere Alternative zu Büchern – und auch ein Lichtblick in der Vielzahl von eher sinnlosen Videos.


Die wichtigsten Sinnfluencer auf
YouTube

YouTube hat aber auch etwas zu bieten, was TikTok schlichtweg nicht bieten kann: Zeit. TikTok-Videos können maximal 60 Sekunden lang sein, während es auf YouTube kein Zeitlimit gibt. Das merkt man auch in der Themenauswahl. Auf YouTube ist so ziemlich jedes Thema abgedeckt. TikTok tut sich aber noch relativ schwer damit, denn in 60 Sekunden kann man nun mal nicht viel komplexes Wissen erklären – das ist sicher auch der Grund, warum die Themen oft trotz aller Infomation noch recht „einfach“ bleiben.

Fazit: gute Aussichten

Nichtsdestotrotz ist bei TikTok ein Potential zur Wissensvermittlung vorhanden. Ganz klar. Jedoch wird dies selten durch die User aktiv eingefordert, sondern geschieht zufällig. Eine Art ungewolltes Lernen, das uns für ein paar Sekunden staunen lässt und dann wohl leider in ein ungehemmtes Weiterscrollen übergeht. Spätestens dann haben viele den Inhalt des Videos wohl schon wieder vergessen.

Ob die Wissensvermittlung funktioniert, hängt aber auch maßgeblich von den Usern ab.

#LernenMitTikTok ist also eine gute Möglichkeit, nicht allzu komplexe Sachverhalte zu vermitteln. Ob die Wissensvermittlung funktioniert, hängt aber auch maßgeblich von den Usern ab. Aktuell ist es eben so: Möchte ich mich zielgerichtet über einen Sachverhalt informieren oder habe eine konkrete Frage, dann gebe ich diese schnell auf Google ein und werde im besten Fall auf einen Artikel oder ein Video weitergeleitet. Die wenigsten aber würden wohl aktuell TikTok aufsuchen, um etwas Spezielles zu lernen. Suchmaschinen sind da einfach nahbarer und einfacher. Aus TikTok wird also in naher Zukunft wohl kein digitales Klassenzimmer. Wenn es aber die Bildungscreator schaffen, ihren Usern Inormationen mitzugeben und sie mit Wissen zu begeistern, ist das auch schon eine gute Sache.

TikToker im SPIESSER-Interview
Wir haben mit ein paar der bekanntesten TikToker hinter dem Hashtag #LernenMitTikTok gesprochen. Im SPIESSER-Interview erzählen sie von ihrer TikTok-Karriere und berichten darüber, was sie selbst von TikTok als Bildungsplattform halten. Lest selbst (einfach auf die Bilder klicken):

     

Text: Dennis Zastawny, 22, hatte beim Schreiben für seine TikTok-Sucht wenigstens mal eine gute Ausrede: Recherche.
Bilder: Unsplash, Paula Kuhta, Lena Schäfer, Gaby Gerster/laif, NieKoe-Fotografie

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Kommentare

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