Nachgefragt

Wächst die Mediensucht?

Die Userzahlen von sozialen Netzwerken wachsen und wachsen. Die Plattformen dienen zur Ablenkung vom (Corona-)Alltag und werden oft zum reinen Zeitvertreib genutzt. Doch wie wirkt sich die Nutzung auf unsere Gesundheit aus? SPIESSER-Autorin Rebecka hat mit der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Daniela Ludwig, über Mediensucht gesprochen.

14. October 2021 - 15:21
SPIESSER-AutorIn Freigeistgefluester.
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Beigetreten: 19.01.2019

Was haben Medien und typische Drogen gemeinsam?

Auf den ersten Blick natürlich nichts. Tablet, Handy und PC sind ja Alltagsgegenstände, die jeder kennt. Aber so wie Alkohol, Tabak und illegale Drogen abhängig und krank machen können, können auch digitale Medien ungesund werden. Nämlich dann, wenn Menschen ohne sie gar nicht mehr im Alltag zurechtkommen und in einen „digitalen Dauerzustand“ geraten.

Welche Gefahren gehen denn konkret von zu starker Mediennutzung aus?

Ich kenne Fälle, in denen Kinder regelmäßig psychotisch und aggressiv gegenüber ihren Geschwistern, Eltern und Freunden geworden sind, weil sie nicht „zocken“ durften. Oder nichts mehr gegessen, das Haus nicht mehr verlassen, sich nicht mehr gepfl egt haben. Das wurde teilweise so dramatisch, dass sie stationär behandelt werden mussten und zwar nicht nur eine Woche lang. Es gibt mehrere Kliniken, die spezielle Abteilungen für das Thema Internetsucht eingerichtet haben oder sich ausschließlich diesem Thema widmen.

Die Mediensucht-Kampagne Familie. Freunde.Follower. der Drogenbeauftragten der Bundesregierung hat das Ziel, insbesondere Kindern und Jugendlichen einen gesunden Umgang mit digitalen Medien zu vermitteln. Sie bietet wertvolle, einfache Tipps für den Alltag und zeigt auf, wie jeder das richtige Maß an Mediennutzung finden kann. Alle Infos dazu findet ihr auf: www.drogenbeauftragte.de

Gibt es spezielle Anzeichen einer Mediensucht?

Wenn Menschen – junge wie ältere – sich immer mehr zurückziehen, nicht mehr am „normalen“ Leben teilnehmen möchten, ihre Freunde und Hobbys vernachlässigen, dann sind das schon Zeichen, die man ernst nehmen sollte. Nicht immer ist die Person gleich „abhängig“, aber wenn das Handy, der PC, die Konsole die erste Geige spielen und das täglich, muss man genau hinschauen. Kinder und auch Jugendliche müssen einfach, bevor sie die digitale Welt entdecken, einen „Fahrplan“ bekommen.

Gesund ist, wenn das analoge und das digitale Leben ausgewogen bleiben.

Und wie viel Bildschirmzeit ist „erlaubt“?

Weniger die Dauer, sondern eher „was und wie oft“ ist zentral. Gesund ist, wenn das analoge und das digitale Leben ausgewogen bleiben. Was zählt, sind klare Absprachen, wie zum Beispiel: nach dem digitalen Lernen erst einmal eine Pause machen. Ein Spaziergang mit der Freundin, eine Runde Joggen oder mit dem Rad fahren statt gleich weiter ans Smartphone oder die Spielkonsole. Auch Handys beim Essen sollten Tabu sein – natürlich auch für die Eltern!

Wie sieht Ihre Expertise in Bezug auf soziale Medien aus? Nutzen Sie selbst soziale Netzwerke wie TikTok, Instagram und Co.?

Politik von heute funktioniert kaum noch ohne die sozialen Medien. Gerade wenn wir die jüngeren Menschen in Deutschland erreichen möchten – was wir müssen –, geht es nicht ohne Twitter, Facebook und so weiter. Ich habe selbst mehrere Accounts und pfl ege diese auch größtenteils selbst. Es ist wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger auf möglichst vielen Kanälen erreicht werden.

Sehen Sie auf den Plattformen Potenzial für die Bildung?

Digitale Medien insgesamt ja, soziale Medien nicht unbedingt. Dafür sind sie zu schnelllebig. Ich denke, es ist immer die Mischung, die es ausmacht. Reines Lernen über beispielsweise TikTok sehe ich kritisch, das wäre zu wenig. Aber als Ergänzung: Warum nicht?

Warum ist es gerade jetzt für Sie so wichtig, über dieses Thema aufzuklären?

Ehrlicherweise ist Mediensucht eines meiner Topthemen seit meinem Amtsantritt. Es hat durch die Pandemie nochmals enorm an Fahrt gewonnen, weil alle natürlich mehr denn je auf digitale Medien angewiesen sind – berufl ich wie privat. Wie wären sonst Homeoffi ce oder Kontakt halten mit den Freunden möglich? Was mich aber schon sehr beschäftigt, sind die Zahlen, die belegen, dass allein in Deutschland mittlerweile 700.000 Kinder und Jugendliche problematisch oder sogar pathologisch im Netz unterwegs sind oder gamen. Tendenz steigend. Die Pandemie wirkt hier als absoluter Verstärker, daher kümmere ich mich aktuell intensiver denn je um dieses Thema.

Also glauben Sie, die vermehrte Mediennutzung ist ein „Nebeneffekt“ der Pandemie?

Absolut! Aber nicht nur von sozialen Medien, auch bei Videospielen sehen wir einen Anstieg der Nutzungsdauer. Wir haben im Sommer 2020 mit der DAK-Gesundheit die ersten Ergebnisse der Studie zur Mediennutzung während des ersten Lockdowns vorgestellt. Aus dieser ging hervor, dass damals schon die Zeiten um 75 Prozent angestiegen sind.


Daniela Ludwig (links) ist seit September 2019 die Drogen-
beauftragte der Bundesregierung. Für ihre Kampagne
„Familie.Freunde.Follower“ wurde im Januar 2021 ein Film
mit dem Kika-Reporter „Checker Tobi“ (rechts) veröffentlicht.
Wie bewerten Sie die aktuelle Situation in Bezug auf Homeschooling und digitales Lernen?

Unterm Strich sitzen wir alle mehr vorm Bildschirm. Da müssen wir uns nichts vormachen. Das bleibt aber nicht für immer so. Ich stelle bei meinen Kindern, neunjährige Zwillinge, aktuell fest, wie schnell sie plötzlich fit im Umgang mit Uploads, Videokonferenzeinwahlen oder E-Mail schreiben werden. Das war so nicht geplant, aber funktioniert wirklich gut. Die Kinder lernen im Crashkurs, wie sinnvoll die Digitalisierung ist, wo die Vorteile liegen. Sie lernen – wenn es gut läuft – sinnvolle und unsinnige Mediennutzung zu unterscheiden.

In einem kurzen Video zu Ihrer neuen Kampagne Familie.Freunde. Follower. erklärt Tobias Krell, was Mediensucht eigentlich ist und was man tun kann, um einen gesunden Abstand zur digitalen Welt zu wahren. Sind diese Tipps aktuell überhaupt umsetzbar?

Der Film soll das Thema ja langfristig vermitteln. Die Tipps gelten auch noch für die Zeit nach Corona. Natürlich ist die Lage aktuell sehr außergewöhnlich, nicht „normal“. Aber es ist ja nicht verboten, sich mit seiner besten Freundin oder seinem besten Freund draußen im Park oder auf dem Sportplatz zu verabreden. Im Film zeigen wir Beispiele, die klarmachen, dass neben all der Gamerei und dem Internet auch noch analoge Alternativen wahrgenommen werden sollten. Das ist momentan natürlich nicht der Gruppensport, sondern eher Spaziergänge, lesen, kochen, basteln, malen.

Unterm Strich sitzen wir alle mehr vorm Bildschirm..

Haben Sie abschließende Tipps?

Ein Tipp der Kampagne lautet: als Eltern selbst ein gutes Vorbild sein. Wenn Papa oder Mama nonstop vor dem Bildschirm sitzen, auch beim Essen zum Beispiel, dann können Kinder und Jugendliche ja gar nicht lernen, wann sie mal „den Stecker ziehen“ sollten. Wenn das Homeschooling oder das Homeoffi ce vorbei ist, dann sollten auch die digitalen Medien – wenigstens für ein paar Stunden – Feierabend machen!

Text von Rebecka Juchems, 20, hat ihr Smartphone nach dem Gespräch vom Esstisch verbannt.
Bilder: megaherz

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Kommentare

Jetzt bist du dran!
  • Pinguin von Nebenan
    5
    Meinung

    Vernetzt, verknotet, vereinsamt

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  • PhilippSch
    Meinung

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    Nahezu jeder Jugendliche nutzt die sozialen Medien, ohne sie ist es schwierig in der digitalisierten Welt. Neben den Etablierten wie Twitter und Facebook kommen auch ab und zu neue Dienste und somit auch neue Probleme. Was bedeutet das für das Miteinander im Social Media?