SPIESSER.de-Autoren schreiben Briefe. Diesmal schreibt denkMal an die Fernsehjournalisten, die die Berichterstattung über das Loveparade-Unglück zu verantworten haben.
29. July 2010 - 14:25 von SPIESSER-Autorin denkMal.
Liebe Loveparade-TV-Berichterstatter,
das waren noch Zeiten, nicht? Als ihr die Nummer 1 wart, die Schnellsten und am nächsten dran – als die Katastrophe vom 11. September 2001 noch ganz alleine bei euch zu sehen war und keine Twitter-User dazwischengefunkt haben.
Doch diese Zeiten sind vorbei, damit müsst ihr euch wohl oder übel abfinden. Bei den letzten großen Katastrophen wart ihr nicht mehr die Schnellsten. Ihr habt es nicht leicht in diesen Tagen, das ist klar. In Tagen, in denen Youtube, Twitter und Co. euch das Wasser bzw. die Aufmerksamkeit abgraben. Es scheint, ihr seid alt geworden. Das Internet hat euch gnadenlos überholt.
Das scheint euch so sehr zu ärgern, dass ihr fast euren Auftrag vergesst: Seriöse und professionelle Berichterstattung. Denn das meiste, was ihr in den letzten Tagen „nach Duisburg“ so gesendet habt, hatte wenig damit zu tun.
Da standen plötzlich sogenannte „Internet-Reporter“ live bei euch im Studio und lasen Twitter-Nachrichten vor. Dabei habt ihr wohl glatt übersehen, dass diese Twitterer keineswegs Journalisten sind und ihre kurzen Texte subjektiv. Und genau das wolltet ihr doch nie sein. Objektiv bleiben, das war doch immer eure Devise.
Das Internet – es ist ja auch ein seltsames Phänomen, das geb ich zu. Alleine 11.900.000 Ergebnisse finden sich bei Google, wenn ich „Loveparade 2010“ eingebe. Im Netz kann der User sich voll und ganz selbstverwirklichen: Der Trauer kann in Online-Kondolenzlisten Ausdruck verliehen werden. Bei YouTube kann das Geschehen aus allen erdenklichen Perspektiven betrachtet werden, immer und immer wieder. Wem das nicht reicht, der kann selbstverständlich auch genau nachlesen, was wann passiert ist in „der Chronologie der Katastrophe“.
Die Internetgemeinde trauert, ist in ebenjenem Internet wörtlich zu lesen. Sicherlich, die Loveparade 2010 endete in einer Katastrophe und der Tod der Menschen ist unfassbar. Und sicher, jeder hat einen anderen Weg, um mit seiner Trauer umzugehen. Und klar, Schreiben war schon immer eine Möglichkeit, um der eigenen Ohnmacht Ausdruck zu verleihen.
Aber: Die Online-Kondolenzlisten haben in meinen Augen einen unangenehmen Beigeschmack. Plötzlich scheint jeder die Opfer gekannt zu haben, jeder ist „unsagbar traurig“ – „kisses und hugs“ gibts gratis dazu. Nur die wenigsten Einträge klingen aufrichtig. Viele sind im Internetslang hingeschmiert und erinnern an icq-Nachrichten, am Ende eben nur mit einem traurigen statt dem fröhlichen Smiley. Sieht so echte Trauer aus? Naja, vielleicht die der Internetgemeinde.
Aber zurück zu euch, liebe Fernsehnachrichten-Macher: Darauf seid ihr also neidisch? Auf Videos von Wiederbelebungsmaßnahmen? Die ihr dann natürlich prompt ins Programm aufnehmen müsst. So sieht also seriöse Berichterstattung im 21. Jahrhundert aus.
Der Unterschied ist doch, dass weder die YouTube-Video-Reinsteller noch die Twitter-Weitersager eine journalistische Ausbildung haben. Es ist ja schön, wenn ihr mit der Zeit geht, aber vergesst dabei bitte nicht, was ihr – hoffentlich – während eurer Ausbildung gelernt habt, zum Beispiel zu den Themen Medienethik und Recherche.
Lasst euch doch nicht herunterziehen auf ein Niveau, das Laien im Internet geschaffen haben. Habt ihr das echt nötig? Geratet doch nicht in Panik, wenn ihr vom Internet bei der Schnelligkeit und bei der Befriedigung des Voyeurismus überholt werdet. Es geht nämlich nicht nur um Quantität und die dramatischsten Bilder, sondern in erster Linie um Qualität und seriöse Berichterstattung.
Naja, ihr könnt es ja besser machen. Bei der nächsten Katastrophe. Die kommt leider bestimmt. Und wir werden's sicher schnell genug durch Twitter mitkriegen.
Viel Erfolg beim Üben der seriösen Berichterstattung wünscht
denkMal
Dir gefällt dieser Artikel?
auf Facebook teilen auf WhatsApp teilen auf Twitter teilen auf Google+ teilen
Der Druck aus dem Internet wächst und die Fernsehschaffenden bekommen Angst, dass sie untergehen. Daher: Sensation! Das allerdings betrifft nicht nur die TV-Journalisten, auch Printredakteure (der BILD-Zeitung beispielsweise) führen immer härtere Sensationsstrategien an - die eine nicht besser als die andere. Alle haben Angst vor ihrer Konkurrenz und reagieren zu viel darauf, anstatt ihren eigenen Bereich weiterhin zuverlässig abzudecken. Alle haben Angst und wissen nicht, wovor. Am Ende vor sich selbst.
Gut beobachtet und in Worte gefasst! Danke, da schreibt mir jemand aus der ... Dings ... wie heißt das denn jetzt ... grrr...
Ich nehme an, so eine Ansprache wundert dich, und ich muss zugeben, zu der Einsicht dahinter kam ich auch nicht leicht. Früher habe ich gedacht, dass du das Schlimmste bist, was mir je passieren könnte. Aber jetzt habe ich eine andere Meinung: Dank dir, meine Sackgasse, habe ich vieles über
Unsere Überwachungstechnik hat die Science-Fiction längst überholt. Google und Co. bestimmen unsere Meinungen... oder etwa doch nicht? SPIESSERin Helen schreibt an das Dystopiejahr 1984...
Liebe Wahlbenachrichtigung,
vor ein paar Wochen habe ich dich aus dem Briefkasten gefischt. Du bist meine Berechtigung zur Wahl, meine Berechtigung zur Mitbestimmung in Deutschland. Seitdem hängst du an meiner Pinnwand, wirst von Notizzetteln und Einkaufslisten umrahmt und wartest
Das erste Mal zur bei einer Wahl die Stimme abgeben. Für manche von euch ist es dieses Jahr soweit, bei der Bundestagswahl. SPIESSERIN-Astrid hat einen Brief an alle neuen Erstwähler verfasst.
Fast alle von uns plagt es im Alltag regelmäßig, das Fernweh. Bei SPIESSER-Redakteur Tom scheint das nicht so zu sein. In einem Brief versucht er seinen entfernten Bekannten endlich dazu zu bewegen ihm mal einen Besuch abzustatten.
Sie sind klein, sie sind fies und man wird sie kaum los. Die Rede ist von den Plagegeistern der Pubertät: den Pickeln. SPIESSERin Jenni kann sie echt nicht mehr sehen und lässt ihrem Frust in ihrem Brief freien Lauf.
Wenn Freunde sich nicht mehr mögen, ist das meistens traurig. Mona verabschiedet sich in ihrem Brief jedoch von einem sehr schlechten Freund – von dem Like-Button.
Am 21. Januar ist jährlich der internationale Tag der Jogginghose. Und ja, dieses Kleidungsstück hat es sowas von verdient einen eigenen Tag im Kalender zu haben. Findet zumindest SPIESSERin Franzi. Eine Liebeserklärung an das bequemste tragbare Stück Stoff.
Ein bestandenes Mathe-Abi oder Frieden auf der Welt – oft wünschen wir uns Hilfe von oben. Paul hofft auf die Weisheit Odins und hat einen Hilferuf geschrieben.
Was andere ausmisten, findet bei SPIESSER–Autorin Lara einen Platz. Sie findet: Secondhandmode ist ein Wundermittel gegen Uniformität, Sweatshops und das Pleitesein.
Ihr kennt das: Was andere haben, wollen wir auch, was wir selbst haben, erscheint uns nicht gut genug. Neid! Lea will sich jetzt erstmal von ihm verabschieden.
SPIESSER-Praktikantin Franziska hat mit ihrem WG-Leben Klartext gesprochen und dabei positive und negative Seiten entdeckt – und letztendlich ihre Liebe gestanden!
Der Druck aus dem Internet wächst und die Fernsehschaffenden bekommen Angst, dass sie untergehen. Daher: Sensation! Das allerdings betrifft nicht nur die TV-Journalisten, auch Printredakteure (der BILD-Zeitung beispielsweise) führen immer härtere Sensationsstrategien an - die eine nicht besser als die andere. Alle haben Angst vor ihrer Konkurrenz und reagieren zu viel darauf, anstatt ihren eigenen Bereich weiterhin zuverlässig abzudecken. Alle haben Angst und wissen nicht, wovor. Am Ende vor sich selbst.
Gut beobachtet und in Worte gefasst! Danke, da schreibt mir jemand aus der ... Dings ... wie heißt das denn jetzt ... grrr...