Zuerst wurde geklatscht. Dann kamen öffentliche Danksagungen von Politikern. Die Forderungen waren in allen Medien. Es sollte sich endlich etwas ändern. Die Pflegekräfte sollten endlich fair bezahlt werden. Endlich war die Zeit gekommen, dass der Beruf den Respekt bekommen sollte, der ihm immer zustand. Und nun, fast zwei Jahre nach Beginn der Pandemie, rollt Deutschland auf die vierte Welle zu. Intensivstationen sind überfüllt und Krankenhäuser müssen Operationen von Patienten absagen.
24. November 2021 - 23:49 von SPIESSER-Autorin Anni Malter.
„Die Lage ist schlimmer als vor Corona“, erzählt Lisa Meisner*, eine Gesundheits- und Krankenpflegerin in einem öffentlichen Krankenhaus in Thüringen. Sie ist übermüdet und hat in der letzten Nacht nur vier Stunden geschlafen. „Wir sind noch weniger Pflegekräfte mit mehr Patienten auf Station. Ich kann mich nicht um jeden Patienten so kümmern, wie ich es eigentlich sollte.“ Auch die sogenannten Corona-Boni kamen nicht so, wie eigentlich vorher lauthals angekündigt: „Wir, die auf der ITS gearbeitet haben und täglich dem Virus ausgesetzt waren, bekamen genauso viel wie die Mitarbeiter in der Krankenhausverwaltung. Klar, diese Arbeit ist auch wichtig, trotzdem ist das alles andere als fair.“ Lisa wurde vor Corona erst mit der Ausbildung fertig und musste schon früh allein die Station leiten. „Es ging eigentlich von der Abschlussprüfung direkt auf die Intensivstation. Nichts hätte mich da vorbereiten können.“ Es gab viele Momente, in denen Lisa ans Aufgeben gedacht hatte. „Dass Menschen sterben, ist in einem Krankenhaus keine Besonderheit. Aber allein zu sterben, die letzte Person zu sein, die mit dem Patienten spricht, das ist hart. Und der Familie klar machen zu müssen, dass sie nicht zu ihren Liebsten können. Und das passierte manchmal gleich mehrmals am Tag“, erklärt Lisa mit zitternder Stimme. Auch ihre Kollegen fühlen sich vom Krankenhaus und von der Politik im Stich gelassen. „Ich weiß nicht, wie viele Nervenzusammenbrüche ich seit Beginn hatte. Wie oft ich unter der Belastung zusammengekippt bin, weil es nicht genügend Pfleger gibt“, erzählt Lisas Kollegin Sara Keller*.
Auf die Frage, was die Politiker besser machen könnten, müssen beide Pflegerinnen anfangen zu lachen. „Im Ernst? Dafür ist es schon längst zu spät“, sagt Lisa. Sara nickt zustimmend: „Seit Jahren wird das Gesundheitssystem zusammengespart. Unsere Bezahlung entspricht unter keinen Umständen unserer Arbeit. Kein Wunder also, dass wir Probleme mit Nachwuchs haben.“
Es ist schwieriger in der Pflege Forderungen durchzusetzen. Nur circa jede zehnte Pflegekraft ist Gewerkschaftsmitglied. Im Vergleich sind 60 Prozent der Krankenhausärzte Mitglieder im Marburger Bund sind, dem Verband angestellter und verbeamteter Deutscher Ärzte.
„Ich habe oft ans Aufgeben gedacht. Klar. Aber dann würde sich das Problem nur vergrößern und die Patienten würden noch mehr leiden“, meint Lisa. „Schlimm, dass wir dem Staat kein Geld bringen. Sonst hätten wir vielleicht auch Milliarden von Hilfsgeldern bekommen. Leider sind wir nur für die Pflege der Menschen zuständig“, gibt Sara ironisch zu.
Momentan rast Deutschland auf die vierte Welle zu. Die Krankenhäuser melden schon jetzt Überlastungen. Mit den Worten: „Wenn die Politik jetzt noch nicht den Warnschuss gehört hat, ist es zu spät“, beendet Lisa das Gespräch. Sie muss in drei Stunden wieder auf Station sein.
Das Krankenhaus, in dem Lisa und Sara arbeiten, wollte sich trotz Anfrage nicht zu den Arbeitsbedingungen äußern.
*Name wurde von der Redaktion geändert
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