Wir kennen uns alle über maximal sechs Ecken. Klingt überraschend, ist es aber nicht – sagt zumindest Herr Dr. Christian Stegbauer, Soziologe an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
13. February 2012 - 17:42 von SPIESSER-Autorin Soonie.
Herr Dr. Christian Stegbauer, wie kam die Small World Theorie zustande?
Ich beginne mit einem Fallbeispiel: Zwei Männer sitzen in einem Café in Tunesien. Der eine Mann ist Amerikaner, der andere Schotte. Als der Schotte den Amerikaner um Feuer bittet, kommen die beiden Männer ins Gespräch und stellen fest, dass sie einen gemeinsamen Bekannten haben. Zwei Menschen aus zwei unterschiedlichen Kontinenten treffen sich auf einem dritten Kontinent und haben einen gemeinsamen Bekannten. Was für eine kleine Welt, denkt man sich da. Milgram hat dieses Phänomen 1967 empirisch untersucht, indem er Pakete erstellte. Diese sollten von 60 zufällig ausgewählten Teilnehmern an eine vorher festgelegte Person in einer anderen Stadt gesendet werden. Sie durften das Päckchen allerdings nicht an die Person direkt senden, sondern nur an Leute, die sie tatsächlich kennen. Drei von 60 Päckchen erreichte die Zielperson über einen Weg von 6 Personen.
Dr. Christian Stegbauer ist Soziologe an
der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Wirken sich soziale Netzwerke also auf die Theorie aus?
Sie spielen schon eine Rolle. Dadurch, dass man die Bekanntschaften der anderen online einsehen kann, erfährt man viel mehr über das soziale Umfeld der Person. Bekanntschaften können so bewusster geschlossenen werden.
Bekannte, Freunde – der Deutsche hat durchschnittlich 200 davon auf Facebook. Hat sich der Begriff „Freundschaft“ dadurch verändert?
Wir fügen auch „Freunde“ zu unserer Kontaktliste hinzu, die wir nicht mögen – nur um diese nicht vor den Kopf zu stoßen. Es findet ein kulturelles Missverständnis statt. Der amerikanische Freundschaftsbegriff, der sich von dem deutschen unterscheidet, hat sich auch bei uns etabliert. In Amerika ist Freundschaft gleichzusetzen mit einer losen Bekanntschaft, in Deutschland meint Freundschaft ursprünglich etwas Tiefes und sehr Vertrautes. Es gibt ebene eine unterschiedliche Kultur mit dem Begriff umzugehen, die wird jetzt vermischt.
Facebook ist ein internationales, soziales Netzwerk. Hat es Freundschaften globalisiert, sie grenzenlos gemacht?
Man kann Urlaubsbekanntschaften besser verwalten als zum Beispiel über Briefkontakt, die Möglichkeiten sind durch Facebook erweitert worden. Es gibt mehr internationalen Kontakt, der ist jedoch schwächer. Man lernt sich kennen, fängt an auf Facebook zu schreiben und meistens werden daraus nur oberflächliche Bekanntschaften. Nur in sehr wenigen Fällen, bei regelmäßigem Kontakt, entstehen richtige Freundschaften.
Wo sehen sie das Small World Theorem in der Zukunft? Werden es weniger Ecken?
Vielleicht wird die Kette minimal verkürzt, vielleicht von sechs auf fünf Ecken, aber es ist unmöglich, dass irgendwann jeder jeden kennt. Selbst wenn wir auf Facebook 200, 300 Freunde haben, kommunizieren wir ja nicht mit allen. Manche Leute können wir gar nicht mehr einordnen, kennen sie zusammenhanglos und löschen sie nur aus Höflichkeit nicht. Von unseren 200 Kontakten auf Facebook kennen wir vielleicht vierzig.
Die Welt ist also kein Dorf?
Wir sind uns im Laufe der Zeit schon näher gekommen, es gibt mehr Möglichkeiten internationale Kontakte aufzunehmen und zu halten. Aber die Welt ist dadurch noch lange kein Dorf. Distanzen blieben trotzdem, nicht nur geographische, sondern auch kulturelle. Und die werden wir nicht durch Facebook überwinden.
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https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
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[Bild:1]
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mxk
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