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Ich werde Nacktmodel

16. July 2011 - 15:30
von SPIESSER-Autorin darcy.

darcy Offline

Beigetreten: 02.05.2011

Mein Kopf sieht aus, als hätten viele große und kleine Schlangen dort ein Klassentreffen. Sie freuen sich so sehr sich nach all den Jahren wieder zu sehen und verschlingen sich fester und fester ineinander. Bei manchen sieht es sogar so aus, als wären sie miteinander verflochten oder verknotet. Andere winden sich vor lauter Aufregung mehrmals um sich selbst. Nach 4 stunden Frisör ist endlich meine Hochsteckfrisur fertig! Als ich weitere 11 Stunden später in meiner klitzekleinen Wohnung vor dem Spieglein stehe, erkenne ich keine überglückliche Wirtschaftsstudentin mehr. Was ist passiert? War meine Verlobungsparty der totale Reinfall oder bin ich einfach nur zu betrunken?
Ersteres kann es schon mal nicht sein. Warum? Wenn ich eine Verlobungsparty gehabt hätte, wäre ich jetzt wohl kaum alleine. Andererseits: wenn ich zu betrunken wäre, wäre ich wohl momentan auch nicht in der Lage, mein erstes Buch zu schreiben. Ich spule zurück. ..öö.- sorry, versuche gerade mit einem Bleistift einen Papierfussel, der in der Tastatur zwischen ö, . und - hängt, zu entfernen. -äöäää#ä#-öä-ää verdammt, jetzt hängt er zwischen ä und # und die Tasten ö, ä und - sind voller Bleistift. Ich lass den Quatsch.
Also zurück zu meiner Geschichte. Ich spule weiter zurück. 2 Jahre müssen wir schon machen, dass die Zusammenhänge begriffen werden können. Ich hatte damals gerade mein Abi in der Tasche und machte mich mit meinem 1-Komma-Schnitt, einer nagelneuen Kurzhaarfrisur und einem etwas älteren Auto auf den Weg-- (kurz die durch meine Papierschnipsel-Entfernungsaktion herausgehüpfte -Taste in Ordnung bringen). Ich wollte im Ausland studieren, wie so viele. Aber ICH tat es wirklich. Und ich tue es noch immer. Es verschlug mich nach - Paris. Falsch, es verschlug mich nicht nach Paris, ich musste nach Paris. Ich wollte in keiner anderen Stadt studieren. Obwohl mir Karriere und Geld schon immer wichtiger waren als Familie und Kinder, konnte ich es Anfangs nicht lassen in der Stadt der Liebe mein Glück zu versuchen. Es klappte nicht schlecht - viel besser als erwartet.
Anfangs konnte ich mir in der französischen Hauptstadt nicht mal einen Kaffee leisten, also jobbte ich hier und da. Meine Eltern putschten mich natürlich mit Finanzspritzen auf, aber ich wollte auf eigenen Beinen stehen. Und schließlich fand ich den Job meines Lebens. Ich zog mich vor der Kamera aus, verliebte mich in den selbstständigen Fotografen und konnte mir von den Gagen nun endlich was kaufen. Jaques und ich waren über ein Jahr zusammen, dann hörte ich auf für ihn zu arbeiten und er hörte auf mir treu zu sein. Ich modle immer jetzt nicht mehr. Ich jobbe liebe in verschiedenen Boutiquen
Jetzt zurück zu heute Abend. Jaques - den ich seit der Trennung nur einmal am Bahnhof gehsehen habe hatte mich in die Oper eingeladen! Ich hatte keine Ahnung, warum. Aber ok. Ab zum Frisör. Gut, dass ich gerade bei Strenesse aushelfe, wo ich mir einen Traum von einem Abendkleid borgen konnte. Bodenlang, nachtblau, pailettenbesetzt, Unterrock und so weiter und so fort. Was wollte der Kerl? Dass ich mich wieder für ihn nackig mache? Dass ich mich wieder auf ihn einlasse? Ich freute mich so sehr! Das hatte ich mir die ganze Zeit gewünscht! Er holte mich ab - ich sah hammer aus, aber er erst. Mein persönlicher Marc Meier! Und diese schmale Krawatte, die er immer zu schicken Anlässen trägt...
Als wir an der Oper ankamen, konnte ich es kaum glauben: wir waren total underdressed! Wie viel musste nur eine Eintrittskarte kosten? Naja egal, rein in die gute Stube, das Stück geguckt - faszinierend, einfach unbeschreiblich. Wir redeten nicht viel und ich wusste immer noch nicht was er wollte. Danach entführte er mich ins ´Moulin blanc´, die Kneipe, in der wir uns kennengelernt hatte, ich war aber seit der Trennung nicht mehr drin. Ein geiler Schuppen. Der pariser Chic, an den ich mich gewöhnt hatte vermischt sich um Moulin mit dem ländlichen, fast bäuerlichen Stil, den ich nur zu gut von zu Hause kenne. Ich fühle mich wie Barbie mit Ken.
Ich zerstörte die Romanze, in dem ich ein Hacker-Pschorr Kellerbier bestellte. Ich sterbe dafür! Wir redeten die ganze Nacht. Wir sind frisch verliebt. Nie im Leben hätt ich ihn verlassen dürfen. Ich war mich super sicher, dass wir morgen wieder zusammen sind. Jetzt bin ich es mir nicht mehr. Ich bin gerade nach Hause gekommen und habe in den Spiegel geschaut. Alles super - bis ich mein Spiegelbild anlächelte. OH mein Gott, auf meinem linken Schneidezahn klebt ein schneidezahngroßes Seetangstück. Es muss da den ganzen Abend geklebt haben, denn das Sushi haben wir ja schon früh verzehrt. Das war der schlimmste Abend meines Lebens. Aber warum hat er mich zum Abschied geküsst? Mein Marc, mein Romeo, mein Ken, mein Märchenprinz. Ich werde Nacktmodel.