Am nächsten Tag, einem Samstag, ist es so weit: Die Wiesn werden eröffnet. Zuerst gibt es den feierlichen Einzug der Festwirte, dann die ersten Schlägereien um die besten Plätze im Zelt, lese ich in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Ich selbst habe mir zwar den Wecker auf sieben Uhr gestellt, aber ihn dann pünktlich um 7.02 Uhr in einem Wasserglas versenkt und damit die ganze Eröffnungszeremonie verpasst.
Macht aber nichts, sagt Moritz. Der ist mein Freund, Schwabe und dank des Cannstatter Wasen Volksfest-erfahren. Wir haben vor, das Dümmste zu tun, was man beim Flirtfestival Oktoberfest tun kann: Gemeinsam als Paar auf die Wiesn zu gehen. Bisher finden wir unsere Idee aber super. Ohnehin ist alles super: Das Wetter (Sonne), der Wochentag (Samstag), die Croissants vom Bäcker. Die essen wir bei einem langen und ausgiebigen Frühstück. Man muss ja eine Grundlage für das Bier im Magen haben.
Menschliches Massenverhalten
Gegen Abend schaffen wir es dann tatsächlich, uns auf den Weg zu machen. Und bekommen schon in der U-Bahn einen Vorgeschmack darauf, was uns erwartet: Menschenmassen in Dirndl und Lederhose belegen die Bahnen. Wir müssen warten, bis eine kommt, in der noch Platz ist – und werden während der Wartezeit Zeuge von diversen körperlichen Zusammenbrüchen. Ein Australier übergibt sich in einen Mülleimer, ein Mädchen im pinken Rüschendirndl legt sich auf den Boden, um zu schlafen und ein schwankender Rentner erzählt denen, die es hören wollen und allen anderen auch, wie er den FC Bayern zur Deutschen Meisterschaft gejubelt hat. Damals, 1969.
Foto: Helmut Hein / pixelio.de
2010, also jetzt, kommt schließlich auch unsere Bahn, wir fahren zur Theresienwiese und sehen: Eine Kirmes. Riesenrad, Geisterbahn, Losbuden – hier gibt es alles, was jeder Jahrmarkt in einer mittelgroßen deutschen Stadt haben sollte. Mehr nicht. Nur, dass hier alle Besucher mindestens 2,4 Promille haben, was mindestens so Voraussetzung zu sein scheint wie die Tracht. Moritz will Achterbahn fahren, ich will eine Hähnchenkeule. Wir einigen uns auf Brezeln und „Breakdance“-Fahren. Das ist ein Fahrgeschäft, in dem der adrenalinsüchtige Gast um drei Achsen um sich selbst gedreht wird. Viel zu wenig für die Mutigen, für mich schon zu viel. Kneifen kann ich nicht mehr, aber wird schon nicht so schlimm werden.
Es werden die schlimmsten drei Minuten meines Lebens. Die Musik dröhnt laut, Lichter blinken und mein Magen rebelliert schon nach zwanzig Sekunden. Das Erniedrigendste: Während ich verzweifelt versuche, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten, schreibt der 14-Jährige im Sitz gegenüber lässig eine SMS.
Überleben in extrem guter Laune
Zur Entspannung gehen wir ins Bierzelt. Davon gibt es immerhin 29 Stück, wir haben nirgendwo reserviert und prominent genug, um auf Gästelisten zu stehen, sind wir auch nicht; gar nicht, nämlich. Wir versuchen es trotzdem, beim Hippodrom-Zelt. Das steht immer in den Klatschzeitschriften, die ich beim Friseur lese (und sonst auch, wenn niemand herschaut), weil dort Boris Becker und Florian Silbereisen medienwirksam schunkeln. Leider geschlossene Gesellschaft. Wir schleichen uns zum Hintereingang, ich versuche ein wichtiges Gesicht zu machen und zeige dem Türsteher meine Krankenkassen-Karte: „Mein Presseausweis!“ Er glaubt mir kein Wort, aber lässt uns rein.
Foto: Alexander Hauk / bayern-nachrichten.de / pixelio.de
Drinnen herrscht gute Laune. So gute Laune, dass man sich kaum bewegen kann, weil so viele andere Menschen da sind, die auch gute Laune haben wollen. Alle tanzen auf den Tischen, in der Mitte ist eine Bühne, auf der eine Blaskapelle Musik macht und dabei von einer Sängerin unterstützt wird. „I will surviiive“, unterstützt sie grölend und Tausende Zeltbesucher singen mit.
Kaum haben Moritz und ich einen freien Platz auf einer Bierbank gefunden, kaum dreht sich ein ergrauter Bayer selig lächelnd zu uns um, um gastfreundlich anzustoßen, kaum sitzt neben uns ein Mitglied der Münchner Schickeria, um wie Kokain aussehenden Schnupftabak zu nehmen – da kehrt plötzlich Stille ein. Die Musik ist aus, die Anlage beschädigt, jeder verfügbare Techniker offenbar schon betrunken – die Band kehrt den Rest des Abends nicht mehr zurück.
Stattdessen beginnt der Aufbruch. Der ältere Herr uns gegenüber wird von der Bank gestoßen. Von seiner Frau. Er hat den Mädchen offenbar zu tief in die Ausschnitte geschaut; die beiden beschließen zu gehen, um ihre goldene Hochzeit nicht aufs Spiel zu setzen. Moritz und ich machen uns auch auf den Weg. Es ist schon 22.45 Uhr, in einer Viertelstunde machen die Zelte ohnehin zu und ohne Musik hört man nur das Schnarchen der auf den Tischen eingeschlafenen Alkoholleichen. Ich bin auch müde, die Wiesn hat mich geschafft. Heute werde ich von Bier und „Breakdance“ träumen – und froh sein, dass der ganze Zirkus jetzt erst einmal ein Jahr Pause hat.
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woraus ein Musikvideo zu meinem Song LIMITS entstanden ist:
https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
Bei meinem letzten Sturz fiel ich in Kunst hinein:
[Bild:1]
Viel Spaß
mxk
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Ich mag deine Texte =)