Fühlt sich so der Gang zum Drogeriemarkt an, wenn man wirklich schwanger ist? Ich bin es zumindest nicht und doch fühlt es sich an, als würde ich Drogen kaufen. Warum habe ich das Gefühl, dass mich jeder anstarrt, nur weil ich ein Stück Plastik auf das Fließband lege, worauf ich urinieren werde?
Als ich sechzehn war, wurde eine Freundin aus der Schule schwanger. Zu dem Zeitpunkt konnte ich mich noch nicht mal um meinen Kaktus kümmern. Ich habe von der Schwangerschaft durch meine Mutter erfahren. "Du wirst niemals erraten, wer schwanger ist", hat sie damals zu mir gesagt. Meine Schulfreundin befand sich damals im ersten Ausbildungsjahr zur Sozialassistentin. Sie wollte Erzieherin werden. Und ein Kind sollte diese Pläne auch nicht durchkreuzen, denn sie hat sich für das ungeborene Leben entschieden und das Kind bekommen. Heute spielt ihre Tochter munter auf dem Spielplatz, währen ihre Mutter selbst mit Kindern arbeitet. Ich kann immer noch nicht eine Pflanze am Leben halten.
Was hätte sie tun müssen, wenn sich meine Freundin damals gegen eine Schwangerschaft entschieden hätte? In der Schule habe ich dazu nicht wirklich etwas gelernt. Wir haben Vorträge zu Verhütungsmethoden gehalten und den anatomischen Aufbau der weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane gelernt. Es war klinisch, unpersönlich und niemand kam auf die Idee zu fragen, welche anderen Wege es im Fall einer Schwangerschaft gibt.
Durch das Internet finde ich schnell etwas zur Pille danach heraus. Diese ist seit dem 14. März 2015 rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Dabei wird jedoch eine Schwangerschaft nicht abgebrochen, sondern lediglich verhindert, wenn das Medikament so früh wie möglich eingenommen wird. Auch kann man die Pille danach ohne Einwilligung der Eltern oder Erziehungsberechtigten eingenommen werden, solange das Mädchen schon 14 Jahre alt ist.
Ich gehe also in die nächstgelegene Apotheke und frage nach der Pille danach. Hier präsentiert mir die Apothekerin zwei verschiedene Medikamente, eins enthält Gestagen, das andere Ulipristal. Ich muss mich nicht ausweisen, aber es wird nach meinem Alter gefragt. Zum Glück sehe ich älter als vierzehn aus. Wenn der Geschlechtsverkehr aber schon länger als fünf Tage her ist, hilft die Pille danach nicht mehr. Also was nun?
Wenn ich mich für eine Abtreibung meines imaginären Kindes entscheiden würde, könnte dies nur eine Frauenärztin oder ein Frauenarzt durchführen. Hierbei verrät mir das Internet, dass ich zu einer Beratungsstelle gehen muss, drei Tage warte und erst danach den Eingriff durchführen lassen kann. Ich suche also nach Beratungsstellen und werde bei der Seite familienplanung.de schnell fündig. Dort trage ich Postleitzahl und Bundesland ein und gebe an, dass ich einen Beratungsschein brauche. Auch kann ich die Beratungsstellen nach Konfession aussuchen. Die Wahl ist zwischen alle, evangelisch, katholisch und nicht konfessionell. Warum gibt es religiöse Beratungsstellen? Spricht sich die Kirche nicht gegen Abtreibung aus, die katholische Kirche sogar gegen Verhütung? Wie kann man dort eine objektive Beratung erhalten? Und wer führt das Gespräch am Ende durch? Ich entscheide mich für eine katholische Beratungsstelle und versuche, unvoreingenommen zu sein. Aber ich bekomme kein Suchergebnis, selbst mit einem 100 km Umkreis nicht. Als nächstes probiere ich es mit evangelischen Beratungsstellen. Erst in der 20 km entfernten Stadt finde ich eine Diakonie. Zuletzt suche ich nach nicht religiösen Beratungsstellen und werde mit einem Umkreis von nur 3 km fündig.
Es werden mir zwei Stellen angezeigt, von pro familia „Schwangerschafts- und Schwangerschafts-Konfliktberatungsstelle, Deutsche Gesellschaft für Familienplanung Sexualpädagogik und Sexualberatung“ und donum vitae „staatlich anerkannte Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle, psychosoziale Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch“. Ich entscheide mich für pro familia und mache einen Termin.
Währenddessen recherchiere ich über das Werbeverbot von Abtreibungen, Paragraf 219a im Strafgesetzbuch: „Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 1. Eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. [...]“
Die Welt schrieb 2017 über Dr. Kristina Hänel, welche wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt wurde. Als Begründung hieß es vom Gericht: „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache“. Dabei werden in Deutschland laut Focus jährlich fast 300.000 Abtreibungen durchgeführt und der Eingriff zählt zu den häufigsten gynäkologischen Eingriffen. Wieso können wir also nicht öffentlich über den Schwangerschaftsabbruch diskutieren und warum lernen Schüler nicht im Unterricht etwas über die Optionen? Neben Abtreibung gibt es noch Adoption, die anonyme Geburt und die Babyklappe, wenn man sich gegen das Kind entscheidet. Wieso kann man nicht objektiv über diese Möglichkeiten in der Schule reden?
Glauben Politiker, dass Frauen sich für eine Abtreibung entscheiden, nur weil sie eine Werbeanzeige sehen? Oder glauben sie, dass es weniger Abtreibungen gibt, wenn mit diesen nicht „geworben“ werden darf? In Deutschland unterliegt die Zigarettenwerbung immer noch nicht den gleichen Einschränkungen wie in allen anderen EU-Ländern, trotz dass es ein Rahmenabkommen von der WHO gibt, dass sich verpflichtet hat, den Tabakkonsum einzudämmen. Wahrscheinlich, weil die Tabaklobby in Deutschland mächtiger ist als die verschiedenen Ärztevereinigungen. Die einen bringen dir Krebs, die anderen wollen dich davon heilen. Logisch, was erlaubt ist und was nicht.
Noch immer gibt es keine gesetzlichen Vorschriften, was die Werbung für Kinder angeht. Selbst für die Bundeswehr wird geworben. Lauthals auf Social-Media. Aber objektive Informationen auf den Webseiten der Frauenärzte über Abtreibungen werden bestraft. Das eine ist tatsächlich eine Werbeaktion der Bundeswehr, um mehr Bewerberinnen und Bewerber anzulocken, das andere will über medizinische Eingriffe informieren.
Es gibt immer weniger Frauenärzte, die eine Abtreibung noch durchführen. Die Namen der Wenigen, die das noch machen, werden veröffentlicht von sogenannten "Lebensschützern". Bei diesen Demos sieht man meist ältere weiße Männer, die glauben, sich einbilden zu können, sie könnten einer Frau vorschreiben, was sie mit ihrem Körper tun kann und soll. Als Antwort darauf habe ich nur Drahtkleiderbügel.
Und doch gibt es immer noch den Paragraphen 219a aus dem Jahr 1933, ein Gesetz verabschiedet am 26. Mai, als Folge des Ermächtigungsgesetzes.
Es gab schon immer Abtreibungen in der Geschichte, diese waren aber viel gefährlicher für Frauen und fanden nicht in einem hygienisch geschützten Bereich statt und wurden auch nicht von qualifizierten Ärzten durchgeführt.
Momentan protestieren wieder tausende Menschen in Warschau gegen eine drastische Verschärfung des Abtreibungsverbots. In Amerika könnten sich die Abtreibungsgesetze auch mit Antritt der neuen konservativen obersten Richterin Amy Coney Barrett ändern und negativ auf die „Pro Choice“ Bewegung auswirken. Warum mischt sich die Kirche in Zeiten von künstlicher Intelligenz noch immer in die Abtreibungsdebatte mit ein? Religion ist doch Privatsache, oder sollte es zumindest sein.
Für Papst Franziskus ist Abtreibung noch immer Auftragsmord. Gleichzeitig will der Vatikan nichts gegen die Vergewaltigungen innerhalb der katholischen Kirche unternehmen, wie das Zölibat abzuschaffen.
Mittlerweile sitze ich bei pro familia. An den Wänden hängen Aufklärungsposter und Bilder von Familien. Vor mir erzählt eine ältere Frau von meinen Optionen. Neben Abtreibung gibt es noch Adoption, die Babyklappe und die anonyme Geburt. Dann erklärt sie mir die eigentliche Abtreibung, die verschiedenen Methoden, die Risiken. Ich höre aufmerksam zu und stelle Fragen. Vollkommen wertfrei wird mir am Ende eine Liste von Frauenärzten gegeben, die einen Eingriff durchführen zusammen mit dem Beratungsschein. Als ich draußen bin, muss ich an die jungen Frauen in Polen denken, an die in den USA. Und dass sie für eine Wahl kämpfen, die ich längst habe.