Was sind das für Leute, die ihre Zeit damit verbringen, scheinbar sinnloses Zeug auf Stromkästen und an Laternen zu kleben? SPIESSER-Autorin Cindy hat den 19-jährigen Sebastian auf einem abendlichen Streifzug begleitet.
30. August 2007 - 19:05 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
21.00 Uhr Sebastian und ich treffen uns im Zug. Sebastian heißt eigentlich ganz anders, aber seinen echten Namen will er lieber nicht veröffentlicht sehen, schließlich ist das, was er heute Abend vorhat, verboten. In einem dicken Umschlag hat er Feuerlöscher, Bananen und Schlüpfer dabei. Alles fein säuberlich ausgedruckt auf Papier, schwarz-weiß, in verschiedenen Größen. Ich frage mich, ob es nicht ziemlich teuer ist, so viel auszudrucken. Aber Sebastian erzählt gleich, dass er sich erst kürzlich einen Laserdrucker gekauft hat: "Da komme ich ganz günstig weg." Sprühkleber hat er auch einstecken.
21.30 Uhr Wir sind in der Stadt angekommen. Es ist Stadtfest. Ein denkbar ungünstiger Abend zum Kleben. Tausende Menschen sind unterwegs, die Polizei scheint präsenter als sonst zu sein. Sebastian will die Aktion trotzdem durchziehen und beginnt, die ersten Motive zu kleben. Der Stromkasten ist der perfekte Platz für einen Schlüpfer. Als Sebastian den Sprühkleber raus holt, ernten wir die ersten kritischen Blicke von Passanten. Aber niemand sagt was.
21.45 Uhr Ein paar Aufkleber weiter treffen wir tatsächlich auf die Polizei. "Der Zigarettenautomat sieht noch viel zu leer aus um nicht beklebt zu werden", sagt Sebastian. Doch auf der anderen Straßenseite steht ein Polizeiwagen mit zwei Polizisten Kleben oder nicht Kleben? Als der Polizist aus dem Auto steigt, um seinen Müll wegzubringen, zögert Sebastian zu lange und verpasst den einen unbeobachteten Moment. Wir gehen also weiter.
21.50 Uhr Wir gehen weiter, sehen die Polizisten immer noch. Doch das hindert Sebastian nicht, ein paar Unterhosen und etwas Obst zu verteilen. "In sicherer Entfernung zur Polizei aber der Möglichkeit das sie uns doch sehen könnten, macht es gerade Spaß", sagt Sebastian. Also gibt es Bananen für alle! Politische Aufkleber mag Sebastian nicht. Das hat was von Meinung aufdrücken. Jeder müsse halt selbst wissen, ob er wirklich hinter der Meinung steht oder nur in den Sing-Sang der anderen einsteigt.
22.15 Uhr Warum eigentlich immer nur Stromkästen und Laternen? Immer so auf Augenhöhe ist ja langweilig. Machen wir mal aus einem Stein, einen Pflasterstein , sagt Sebastian, bückt sich und klebt ein Pflaster auf die Straße. Ich muss lachen. Auf so eine Idee muss man erstmal kommen.
22.25 Uhr An der nächsten Straßenkreuzung verteilt ein Typen Flyer. Sebastian beklebt den nächsten Stromkasten. Der Promoter schaut kurz zu, fragt dann ganz begeistert nach warum wir denn ausgerechnet Feuerlöscher verteilen. Aus Spaß an der Freude. "Und Feuerlöscher sind nun mal toll", sagt Sebastian. Zwei betrunkene Mädels halten jetzt auch an. Sie wollen wissen was wir machen und ob sie auch so ein Aufkleber haben können. Klar, wir haben genug.
22.40 Uhr Als wir weitergehen sehen wir hier und da Graffitis. Sebastian erzählt mir, dass er früher selber Sprayer war, jetzt aber aufgehört hat weil er einmal nur knapp der Polizei entwischt war. Jetzt ist er eben auf Aufkleber umgestiegen, doch es kribbelt schon immer noch in den Fingern. Farbe hat er auch noch zu Hause. Er erklärt mir auch Abkürzungen wie ACAB, das heißt "All Cops are Bastards". Vor allem in der Nähe von der Polizeistation sieht man viele davon.
23.00 Uhr Wir machen uns jetzt auf den Rückweg. In einer Parallelstraße verteilt Sebastian die letzten Aufkleber. Sehr amüsant ist eine Holzwand: Sie wäre eine tolle Fläche zum Bekleben. Doch anscheinend will die jemand für sich selber haben. "Fremdkleber werden enthauptet", steht da groß drauf. Da weit und breit niemand zu sehen ist, wollen wir ausprobieren ob es stimmt. Die letzte Unterhose wird als Eindringling ausgesetzt.
23.40 Uhr In den vergangenen 160 Minuten hat Sebastian auf drei Straßen geklebt. Als wir mit dem Zug zurück fahren, sehen wir Graffitis. "Da hat wohl jemand die Sprühdose falsch herum gehalten", ätzt Sebastian während er darüber nachdenkt, welche Motive er als nächstes klebt.
Foto und Text: Cindy Kunath
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