Als er anfängt zu singen, fange ich an, das Festival trotz aller Widrigkeiten zu mögen. Die Menschen um mich herum tanzen und jubeln. Mir geht spontan auf, warum Festivals überhaupt existieren: Dosenbier trinken, Dixi-Klos benutzen – das kann man auch im eigenen Garten. Aber dazu noch unter freiem Himmel mit Zehntausenden tagelang toller Livemusik lauschen und durch den Matsch tanzen, das geht nur hier.
Auf dem Southside Festival ist schräg sein nicht die Ausnahme.
Ohnehin ist das gesamte Festival eine einzige Ausnahmesituation: Das dichte Campen führt zu Platzangst, fördert aber das Gemeinschaftsgefühl. Die Besucher sind dauerbetrunken, aber dabei freundlich und hilfsbereit. Spaß haben hier alle auf ihre ganz persönliche Art: Ein Typ mit Cowboyhut läuft herum, schleift einen 2-Meter-Stoffhund durch den knöcheltiefen Schlamm hinter sich her und ruft laut: „Wer will den Hund mal streicheln?“. Vor dem Nachbarzelt sitzt ein verschlafen aussehender Fan im „Massive Attack“-Pullover, putzt sich die Zähne, spült mit einem Schluck Wasser nach und spuckt alles direkt vor sich auf den Rasen.
Das will ich auch ...
... nicht auf den Rasen spucken, sondern Zähne putzen! Ich mache mich auf zu den Waschzelten, freue mich auf warmes Wasser. Und bereue dies direkt, als ich ankomme: Duschen ist unmöglich, überall steht der Matsch. Dann eben zu den langen, wie Futtertröge aussehenden Waschbecken. Das Wasser steht bis zum Rand, mischt sich mit ausgespuckter Zahnpasta und auslaufenden Bierdosen – und trotzdem stehen sich waschende Menschen in Massen davor. Vollkommen absurd, dass hier alle verschlafen, dreckig und noch halb betrunken von der vorherigen Nacht genug Disziplin aufbringen, um sich die Zähne zu putzen. Meine Vorurteile vom harten Rocker, der sich die Haare höchstens alle vier Wochen mit einer Flasche Bier durchspült, geraten ins Wanken. Trotzdem vermeide ich fortan die spartanischen Waschmöglichkeiten. Meine Zähne überleben den Rest des Festivals dank zuckerfreien Kaugummis.
Schlamm an den Füßen, verstopfte Waschbecken, aber Hauptsache die Zähne sind sauber.
Glücklicherweise gibt es noch Danko Jones. Der hat mit all dem nichts am Hut. Danko Jones benötigt zudem weder Kostümwechsel noch Lichteffekte wie die Kontrastprogramm-Zirkusnummer von Bonaparte. Danko Jones' Tanz beschränkt sich darauf, die Zunge so weit wie möglich rauszustrecken und bedrohliche Grimassen zu schneiden. Als das Publikum anders als erwartet reagiert, nämlich überhaupt nicht, klärt er erst einmal auf: „Ich bin Danko Jones!“ Niemand reagiert. Nur Danko Jones. Er erkennt, dass der Rockolymp noch ein Stückchen entfernt ist und dass das Southside-Festival aus übermüdeten Menschen besteht, die nach drei Tagen Zelten, Alkohol und Tanzen keine Kraft mehr haben. Danko Jones handelt. „Leute“, ruft er, „wenn ihr jetzt mal richtig abgeht ... dann nehme ich die Jubelbilder in mein neues Video mit rein!“.
In diesem Video wird man Folgendes sehen: Zu ohrenbetäubend lauter Musik hüpft Danko Jones – Typ: korpulenter Lederjackenträger – über eine riesige Bühne. Zehntausende bestochene Menschen davor hüpfen mit. So begeistert, dass der Matsch meterweit spritzt – meist auf mich. Denn ich hüpfe mit. Für die Ehre von Danko Jones. Und für die des Southside-Festivals.
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Titelverteidiger
Auf dem Southside Festival ist schräg sein nicht die Ausnahme.
Schlamm an den Füßen, verstopfte Waschbecken, aber Hauptsache die Zähne sind sauber.
Was'n geiler Text.
Etliche Stellen, an denen ich schmunzeln musste.
Sehr schön locker geschrieben. Ein Text, der einen bis zum Ende mitzieht - und das online!
Vollsten Respekt dafür.
Mal gucken ob ich in den nächsten Tagen meinen Festivalbericht für die "Haltestelle Woodstock" fertig bekomme.
Vielleicht sieht man sich ja auf dem nächsten Festival. :)
Was für ein geiler Text! :)
"Es regnet in Strömen, der schlammige Boden ist mit Müll bedeckt",
klingt für mich nach Paradies, denn SO MUSS DAS SEIN, harhar!
Du hast jetzt, neben deinem Freund, einen neuen Fan: Mich!
Fantastisch.
Ja, der Bericht ist super!
Ich würd' zu gerne mal hingehen, aber naja...
Ich schätze da machen meine Eltern nicht mit :D
Sehr cooler Bericht. Bin begeistert. Schaue jetzt bei wikipedia nach wer Danko Jones ist.