Ein Leben mit der Angst

Nur keine Panik

Wovor ich Angst habe: „einfach nur vor der Angst selbst“. Was ich liebe: „mein Fahrrad“. Eine 22-jährige SPIESSER-Leserin erzählt ihr Geschichte:

30. October 2015 - 13:31
SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
Noch keine Bewertungen
Onlineredaktion Offline
Beigetreten: 25.04.2009

Ich bin 22 Jahre alt und Studentin. Ich liebe den Kontakt zu Menschen und habe eine soziale Angststörung. Seit drei Jahren ist die Angst mein ständiger Begleiter und ich stets auf der Hut. Als sich die Panikattacken zu häufen begannen, bekam ich Angst vor dieser Angst und irgendwann Depressionen vor lauter Panik. Ich habe angefangen, mich zurückzuziehen, soziale Kontakte zu meiden und mich für diese vermeintliche Unfähigkeit zu hassen. Ein Jahr später stand ich zum ersten Mal im Behandlungszimmer eines Psychiaters. Mittlerweile kenne ich zwei therapeutische Praxen von innen und mich selbst sehr viel besser.

Eine Panikattacke beginnt meistens, wenn ich das Gefühl habe, gefangen zu sein. Sei es in einem stickigen Raum voller Menschen oder einer angespannten Gesprächssituation. Mein Körper beginnt dann mit einer sogenannten Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Anfangs verkrampfen sich die Muskeln und meine Atmung wird flach. Die beklemmende Anspannung fühlt sich wie ein Zuschnüren der Kehle an. Mir wird warm und ich schwitze, obwohl die Zimmertemperatur für andere angenehm ist. Vergleichen kann ich das Gefühl mit einem zu langen Sprint. Man meint seinen Puls hören zu können und fühlt die eigenen Schlafen beben. In meinem Kopf entsteht ein Strudel aus Panik, der sich immer schneller zu drehen scheint, bis die Umgebung einen unwirklichen Eindruck macht und mir die Tränen in die Augen treibt. Der Raum wirkt erdrückend und unerträglich laut. Schwindel hilft mir darüber hinaus nicht unbedingt, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Aus jeder Veranstaltung, die nicht meine engsten Freunde einschloss, wurde für mich im Laufe der Zeit ein Kreativwettbewerb. Warum bist du plötzlich ohne Verabschiedung aus der Vorlesung gehetzt? Wieso schwitzt du auf einmal so stark? Wieso bist du so blass? Ich war ständig auf der Flucht und um keine Ausrede verlegen. Während meine Kollegen zusammen saßen, versuchte ich mich zu beruhigen oder verkroch mich gleich ganz zu Hause.

Prof. Dr. Höll: „Diese Symptome sind ganz typisch bei einer Panikattacke. Es sind unsere Urinstinke, die sich da ihren Weg bahnen. Denn wenn wir uns bedroht fühlen, „dreht“ der Körper auf, um flüchten zu können. Man kann das gut mit dem Bild eines Jägers in der Steinzeit vergleichen, der sich bei der Konfrontation mit einem wilden Tier immer auf einem Kampf einstellen musste oder eben darauf, schnell zu flüchten.“

Ich schäme mich dafür und versuche mittlerweile offener mit meinem Handicap umzugehen, was vor allem bei offiziellen Anlässen nicht immer leicht ist. Trotzdem halte ich das für den besseren Weg. Denn es ist sehr viel unangenehmer, eine Panikattacke verheimlichen zu wollen, als mit offenen Karten zu spielen. Ich habe damit viele positive Erfahrungen gemacht. Als es mir vor etwa einem Jahr besonders schlecht ging, musste ich meinen Uni-Dozenten um um eine Auszeit bitten. Mir war diese Sonderbehandlung sehr unangenehm. Zu meiner Überraschung brachte er mir aber nicht nur Verständnis entgegen, sondern erzählte mir in einem sehr intimen Gespräch von einer Zeit, in der er selbst mit ganz ähnlichen psychischen Problemen zu kämpfen hatte. Das war sehr bewegend.

Als ich zum ersten Mal einem Psychiater begegnete, erklärte der mir Begriffe wie Panikstörung, soziale Angststörung und Depression. Einen Namen für diese Gefühle zu haben, war eine große Erleichterung und der Anstoß, eine Therapie zu beginnen. Nach einer anfänglich medikamentösen Behandlung, setzte ich die Verhaltenstherapie ohne Tabletten fort und wechselte später in eine tiefenpsychologische Praxis. Anfangs war ich verzweifelt und deshalb ungeduldig, so dass es mich unheimlich frustrierte, nicht nach jeder Sitzung einschneidende Fortschritte zu sehen. Im Rückblick erstaunt es mich umso mehr, wie viel sich verändert hat. Ich habe viel über meine Krankheit und noch mehr über mich selbst gelernt. Je intensiver ich mich mit möglichen Auslösern, Konsequenzen und meiner eigenen Rolle beschäftige, desto seltener werden die Panikattacken und desto erträglicher die depressiven Phasen dazwischen.

Mittlerweile geht meine Therapie in die letzte Runde. Die schlechten Tage sind selten geworden und ich komme mit ihnen zurecht. Es wird sicher noch eine Weile dauern bis aus Seltenheit völlige Absenz geworden ist, aber ich habe durch die Therapie gelernt, diesen Rückschlägen angemessen zu begegnen und mich selbst anzunehmen. Es ist eine interessante Reise, sich selbst zu beobachten und ganz intensiv jeden Fortschritt wahrzunehmen. Für die Zukunft wünsche ich mir, wieder fröhlicher und offener zu werden und mich in meiner Lebensfreude nicht mehr in diesem Maße einschränken zu lassen.

Prof. Dr. Rüdiger Höll
Ist 1958 in Hofheim geboren. Mit 20 Jahren begann er sein Studium der Humanmedizin zunächst in Bochum, später in Frankfurt und Erlangen. Von 1984 bis 1995 arbeitete er als akademischer Rat an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen: Psychiatrie, Neurologie inklusive Intensiv neurologie und Psychosomatik. Von 1995 bis 2007 war er Chefarzt der Psychosomatischen Abteilung in der Median Klinik Berggießhübel bei Dresden. Von 2007 bis 2014 war er Ärztlicher Direktor an der Heinrich- Heine Klinik Potsdam, seit 2014 ist er Chefarzt der Parkklinik Heiligenfeld und stellvertretender Ärztlicher Direktor der Heiligenfeld Kliniken.

Dir gefällt dieser Artikel?

Kommentare

Trau' dich, schreib einen Kommentar!
Mehr zum Thema „Ein Leben mit der Angst
  • Onlineredaktion
    Ein Leben mit der Angst

    Schreck frag nach

    Wir haben euch auf SPIESSER.de gefragt, wovor ihr eigentlich Angst habt und wie ihr damit umgeht. Hier findet ihr eure Antworten und einige Informationen rund um das Thema Angsttörung.

  • TherryK
    Ein Leben mit der Angst

    Prüfungsangst

    Matheklausur, Bandauftritt oder Fahrschulprüfung – jeder von uns hatte schon mal Lampenfieber. Doch Prüfungsangst ist vermeidbar. Wie? Hier kommen die SPIESSER-Tipps.

  • Onlineredaktion
    Ein Leben mit der Angst

    Die Angst vor Körperwelten

    Wovor ich Angst habe: „Vor anatomischen Bildern und Beschreibungen“. Was ich liebe: „Meinen Freund, die Natur und tanzen“. Eine 19-jährige SPIESSER-Leserin berichtet von ihrer Geschichte:

  • Onlineredaktion
    Ein Leben mit der Angst

    Die Angst vor der Angst

    Wovor ich Angst habe: „Kontrollverlust, soziale Situationen, Krankheit“. Was ich liebe: „Musik, Zeichnen, Alleinsein, Reisen“. Eine 19-jährige SPIESSER-Leserin erzählt von ihrem Leidensweg.

  • Onlineredaktion
    5
    Ein Leben mit der Angst

    Unendliche Angst

    Wovor ich Angst habe: „Angst vor dem Sein, vor der Unendlichkeit“. Was ich liebe: „gutes Essen, Konzerte, sonnige Tage, Reisen“. Eine 21-jährige SPIESSER-Leserin erzählt von ihrem Weg:

  • Onlineredaktion
    Ein Leben mit der Angst

    Der schmale Grat

    Wovor ich Angst habe: „dick zu sein“. Was ich liebe: „Ziellinien zu durchbrechen“. Ein 19-jährige SPIESSER-Leser berichtet von seiner Krankheit:

  • Onlineredaktion
    Ein Leben mit der Angst

    18 Jahre im Zeichen der Angst

    Wovor ich Angst habe: „alleine zu reisen, öffentliche Plätze, im Mittelpunkt zu stehen, vor der Angst“. Was ich liebe: „Ich liebe es alles zu planen, mein Leben zu strukturieren und mich selbst zu organisieren. #Sheldon. Und natürlich liebe ich es, wenn alles nach Plan

  • whiteblankpage
    Ein Leben mit der Angst

    „Mein Säbelzahntiger ist meine Seele“

    Knapp eineinhalb Jahre sind vergangen, seit Nicholas Müller bei der Rockband Jupiter Jones aufhörte. Der Grund: seine Angststörungen, die er einfach nicht mehr in den Griff bekommen konnte. Nun sprach der Ex-Frontsänger mit uns über seine Zeit seit dem Ausstieg, die Angst vor