Vor Kurzem wurde ich um Jahre in meiner geistigen Entwicklung zurück und direkt in einen Komplex aus meiner Viertklässler-Zeit katapultiert: Ich hatte Bindehautentzündung und deshalb Kontaktlinsenverbot. Tief in mir steckt ein verschüchterter Maulwurf, der entschieden zu lange verspottet wurde – mein Brillenkomplex hat sich für die Ewigkeit bei mir eingenistet. In den vergangenen Jahren haben mich maximal fünf Menschen mit Brille gesehen und jedes Mal habe ich mich dabei gefühlt, als würde ich mein nervös pochendes Herz einem abfahrbereiten Schwerlasttransport vor die Reifen legen.
Hip, hip, Hipster!
Direkt am ersten Tag des Kontaktlinsenverbots bekam ich morgens in der Bahn die schönste Brillen-Paranoia: Ich war mir absolut sicher, dass alle mich anstarrten. Und komisch fanden. Und sich zu einem Anne-ist-ein-Maulwurf-Mob zusammenrotteten, der mich gnadenlos einkapseln würde. Als ich aussteigen musste, hatte ich mich derart erfolgreich in meine Wahnvorstellung hineingesteigert, dass ich die Brille keine Sekunde länger aushielt und so hektisch aus meinem Gesicht riss, als hätte ich mir versehentlich eine indische Baumvogelspinne aufgesetzt.
Sofort war mein Blickfeld ein verschwommenes, blinkend-buntes Wimmelbild. Eines, in dem aus heiterem Himmel lautstark gehupt, geflucht und mit Reifen gequietscht wurde: „Mädchen, bist du blind?!“ – Aus der Situation heraus vermute ich mal, dass ich soeben fast überfahren worden wäre. Gevatter Tod wollte ich im Komplexe-Kampf allerdings nicht als Verbündeten… und setzte schweren Herzens die Brille wieder auf. So rannte ich sehend ins Büro und, da war ich mir sicher, direkt insUnglück. „Brille steht dir voll gut!“, rief mir meine Kollegin im Vorbeigehen zu. Ich wartete auf ein spöttisches Lachen – es kam nichts. Die meinte das ernst!
Was folgte? Noch mehr Komplimente, noch mehr Verwunderung und eine unter Denkkrämpfen ausgebrütete Erklärung: Dinge, für die ich verlacht wurde, haben ganz offensichtlich ihren Weg in die Mitte unserer Gesellschaft gefunden. Ich bin begeistert! Hört bitte nicht auf, freiwillig riesige Brillengestelle zu tragen! Auch Fahrradhelme im Supermarkt, öffentliche Unterhemds-Bekundungen und bis zum Adamsapfel hochgezogene Hosen sind wunderschön. Bei Brustbeuteln und um den Hals baumelnden Hausschlüsseln bin ich mir noch nicht abschließend sicher, aber wenn es hilft, ein altes Trauma zu besiegen: von mir aus! Darauf alle zusammen ein fröhliches: Hip, hip, Hipster!
Text: Anne Fischer, Illustration: Mia Ewald, Foto: Nazariy Kryvosheyev/pixelio.de
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Ich würd ja auch Zahnspangen hier mit einbringen. Da gab's auch so eine Modewelle, als plötzlich alle Kinder eine Zahnspange wollten...
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Das Hörgerät kann aber nicht so cool aussehen!
Ich trage meine Brille mit Stolz. Den Trend, Brillen zu tragen, obwohl man keine braucht, finde ich allerdings ziemlich dämlich. Das ist ja in etwa so, als würde man ein Hörgerät tragen, obwohl man keins braucht.
Irgendwas gutes muss ja an so Hipstern dran sein :D