Der 33. Evangelische Kirchentag hat begonnen. Nachdem Anne sich in den letzten Wochen akribisch vorbereitet hat, wird sie nun bis 5. Juni täglich von ihren Erlebnissen beim Kirchentag berichten.
01. June 2011 - 23:21 von SPIESSER-Autorin mal an.ne.genommen.
Dresden, 1. Juni 2011, 17 Uhr:
Petrus schmollt scheinbar, denn das Wetter ist schon mal wenig akzeptabel.
Aus der Gottperspektive sieht die Landeshauptstadt Sachsens wahrscheinlich aus wie ein Ameisenhaufen, in den versehentlich ein Wanderer getreten ist. 120.000 Menschen sind angereist, um den 33. Evangelischen Kirchentag zu erleben. Ich habe das Gefühl, dass sich mindestens die Hälfte davon in der Straßenbahn befindet, mit der ich zur Eröffnungsveranstaltung fahren will.
17:05 Uhr: Habe von der Haltestelle aus beherzt Anlauf genommen und bin mehr oder weniger in die Bahn gesprungen. Auf diese Weise noch circa drei Quadratzentimeter Platz ergattert.
17:10 Uhr: In der Bahn sind ausschließlich Kirchentagsteilnehmer, erkennbar an giftgrünen Halstüchern, die auf jede erdenkliche Art und Weise um Kopf, Hals, Hände, Hüfte oder andere Körperteile gebunden werden. Alle sind Freunde. Einziges, dafür großes Manko: An Sauerstoff mangelt´s.
17:15 Uhr: Die Freundschaft hört auf. Meinerseits. Die Dame neben mir überlegt nämlich lautstark, ob Dresden sich mit der Veranstaltung eines Kirchentages nicht etwas übernommen hat. Zu unerfahren und popelig ist. Weiß die, dass hier Spiele der Frauenfußball-WM ausgetragen werden?! Lokalpatriotismus schlägt Wellen in meinem sowieso schon gegarten Oberstübchen. Ich überlege, ihr unauffällig aber mit Schmackes auf den rotbepumpsten Fuß zu treten.
17:16 Uhr: Gerade noch rechtzeitig dementiert ihre Begleiterin die Unwahrheit schwäbelnd: „ Nee, des isch doch imma so zu de Schtoßzeite. Des isch hier scho alles gut durchgeplant.“
Eben.
17: 30 Uhr: Es gibt drei parallel laufende Eröffnungsveranstaltungen. Ich wähle den Gottesdienst in leichter Sprache. Kann man dünnbrettbohrig finden. Aber da der Platz so voll ist, als würden Meetings mit Gott persönlich verschenkt, kann ich nicht die einzige sein, die sich am ersten Abend mit etwas seichterer Liturgie auf den Kirchentag einstimmen möchte.
17:55 Uhr: Gottesdienst gefällt mir im Gegensatz zum letzten, den ich besucht habe, gut. Es geht um Schätze. Die soll man lieber bei Gott im Himmel sammeln, als sie auf der Erde anzuhäufen. Weil es hier Motten gibt. Und Diebe. Mottenkugeln und Sicherheitssysteme auch, denke ich, will aber nicht gleich beim Auftakt losstänkern. Außerdem heißt es weiter, dass man trotz viel Geld unglücklich sein kann. Ich ziehe den Umkehrschluss am Beispiel meiner selbst und befinde ihn für richtig, deshalb stänkere ich also nicht.
18: 15 Uhr: Wir singen und beten und wechseln unser Standbein immer häufiger, denn der Rücken beginnt wehzutun.
18:30 Uhr: Das Mädchen neben mir schenkt mir ein Herz, das sie aus einem Kirchentagsknetstück gemacht hat. Meine hartgesottene Seele bekennt sich zu etwas Rührseligkeit. Als die Pastorin zum Schluss „Gott erhebe das Angesicht auf dich und schenke dir Frieden“ sagt, kommt ein Sonnenstrahl durch. Gott hat offenbar Sinn für hollywood´sche Schlussmomente und Petrus deshalb ein bisschen die Leviten gelesen.
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