Dass SPIESSER-Autor Vincents Magen momentan aufgrund einer Popcorn-Überdosis implodiert, zeigt nur, dass das 31. Dresdner Kurzfilmfestival einwandfrei kuratiert war. Die letzten sechs Tage hat Vincent sich in den Kinosälen der Landeshauptstadt verkrümelt und weiß jetzt, wie er in nur zehn Schritten Fake-Tränen erzeugen kann.
25. April 2019 - 12:44 SPIESSER-Autor Kalendermensch.
Wenn es etwas gibt, was ich während des Filmfests Dresden nicht missen will, dann ist das Club Mate. Von einem abgebrühten Rezensenten der Sächsischen Zeitung – im Zusammenhang mit dem Festival wohlbemerkt – als „stets ausverkaufte Hipster-Limo“ abgestempelt, ist sie jedes Jahr mein treuer Begleiter für lange Nächte. Ich trinke (noch) keinen Kaffee, und vor allem nicht im Kino, Thermoskannen mit schwarzem Tee, die sind uncool und Energydrinks finde ich miefig. Was bleibt mir zum Munterbleiben anderes übrig außer diese, nun ja, Hipster-Brause? Gäbe es dieses Softgetränk nicht, wäre ich dieses Jahr einmal eingeschlafen. Dabei war es gar nicht spätnachts, sondern 16 Uhr am Nachmittag.
Das Filmtheater Schauburg in Dresden.
Foto: Oliver Killig
Tatsächlich passierte mir dieses Fast-Einnicken in einem laschen Wettbewerbsprogramm. Was soll ich anderes sagen: Das Programm hatte in etwa die ähnliche Dynamik wie derzeit Dynamo Dresden. Obgleich die gezeigten Filme eine Daseinsberechtigung besaßen, verströmten sie allesamt eine dermaßen suppige Grundstimmung. Da sie alle hintereinander liefen, konnte ich die bedrückenden Sujets ziemlich schnell nicht mehr ertragen. Dazu kam, dass der Moderator jeden Gast dasselbe fragte. Die einsilbigen Sätze, die er gerade so über die Lippen bekam, machten deutlich, dass er seinen Job richtig toll fand. Abgesehen davon, dass es dieses Jahr außerdem keine Fotobox gab, war dieses Screening mein einziger Tiefpunkt der diesjährigen Filmfestedition.
Wie geht Weinen?
Mein diesjähriger Lieblingsbeitrag lief im Nationalen Programm und ist im wahren Leben ein Musikvideo. Die Band „Erdmöbel“, die sowieso den coolsten Namen hat, den ich je gehört habe, mache leichtfüßigen Pop, wie es ein Kritiker beschreibt, und zeichne sich durch lakonische Wahrhaftigkeit aus. Für ihren Song „Tutorial“ aus dem Album „Hinweise zum Gebrauch“ hat Filmemacher Dennis Todorović einen achtminütigen Clip gebastelt, der unter die Haut geht und gleichzeitig sehr heiter anzuschauen ist. Der Film ist eine Bedienungsanleitung für Fake-Tränen in zehn Schritten.
Die spannende Fragestellung: Wie erzeugt man künstliche Tränen, die hauptsächlich ein echtes Gefühl transportieren können? Dafür hat Todorović zehn Schauspielerinnen (man hat sie alle schon mal irgendwo gesehen) ausgewählt und sie vor eine schwarze Wand gesetzt. In fast sekündlich wechselnden Sequenzen erklären diese zu Beginn, wie das nun geht mit dem Weinen. Zum Beispiel: „Erst wenn ihr auf die Fünf stößt, das ist, wenn euch die Traurigkeit trifft.“ Kunstgriff Eins: Den Liedtext spricht eine Männerstimme aus dem Off. Die Zehn bewegen ihre Lippen weitestgehend synchron dazu.
Hauptsächlich aber tanzen die Darstellerinnen ein verrücktes Ballett mit ihrem Körper, verrenken ihrem Kiefer und drücken mit ihren Augen die unterschiedlichsten Emotionen aus. Keine Frau bleibt sitzen – das geht alles locker vom Hocker. Wahnsinnig schön anzusehen, wie Corinna Harfouch alle Register ihres Könnens zieht, um von „überglücklich“ bis „todtraurig“ einmal alles durchzuspielen. Jeder der vielen Gesichtsausdrücke sitzt, ist eine Situation, ein Kunstwerk für sich. Von einem gestellt wirkenden Machwerk ist der Film weit entfernt. Er kommt so roh und pur daher, dass man am liebsten mitmachen will.
Noch viel mehr Impressionen vom diesjährigen Filmfest
gibt es unter @FilmfestDresden. Foto: Oliver Killig
Natürlich nimmt sich der Film durchgängig selbst auf den Arm, vor allem, weil alles aufgesetzt wirkt. Es finden sich unzählige Tutorials auf YouTube, zu weitaus trivialeren Themen. Aber selbst ich bekomme es hin, einen IKEA-Schrank ohne Hilfe aus dem Netz aufzubauen. Da braucht es keinen Schweden, der mir das umständlich erklärt. Warum brauchen wir Tutorials, deren wirkliche Essenz nicht die ursprüngliche Fragestellung ist? Wie definiert sich Natürlichkeit? Wie divers ist Weinen? Und wie verheult kann ein Mensch aussehen? Der Film liefert Antworten auf diese Fragen. Unter den Bildern liegt der lebendige Gute-Laune-Sound von den „Erdmöbeln“. Es ist zum Schenkelklopfen, wie er die Phasen des Tränenerzeugens ironisch kaschiert.
In den letzten Sekunden setzen die zehn Schauspielerinnen ihre Instruktionen dann in die Tat um. Nicht alle schaffen es, am Ende zu weinen. Und die, die es schaffen, auch nur, weil einer von der Maske ihnen ganz unauffällig Flüssigkeit unter die Augen schmiert. Selbst der Fake ist ein Fake. Ich jedenfalls musste wirklich weinen. Naja, fast.
Text: Vincent Koch
Bildmaterial: Still aus TUTORIAL, Internationale Kurzfilmtage Oberhausen gGmbH
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