Der Wahlberliner Talal Derki begibt sich unter falscher Identität in seine Heimat Syrien. Nach zwei Jahren incognito kehrt er mit authentischen Einblicken aus der Lebenswelt von Abu Osama und seinen acht Söhnen zurück. Diese sollen in des Vaters Fußstapfen treten: als Kämpfer des Dschihads.
18. March 2019 - 12:39 SPIESSER-AutorIn Daniel_Butt.
„Mein Vater lehrte mich, meine Alpträume aufzuschreiben, damit sie nicht wiederkommen.“ Mit diesen Worten leitet Talal Derki seinen unaufgeregten, aber auch ungeschönten Dokumentarfilm ein. Wir erleben hautnah die Realität von Abu Osama und seiner Familie in Syrien. Der Al-Nusra Kämpfer erzieht seine acht Jungs von klein auf zu Gotteskriegern (Dschihadisten), damit sie möglichst bald in seine Fußstapfen treten können. Derki begleitet die Familie für zwei Jahre durch Ruinen, Minenfelder, Schulen und Militärcamps und zeigt so authentische Einblicke in das Land wie kaum einer vor ihm.
Wer spielt mit?
Da es sich um einen Dokumentarfilm handelt, gibt es nur einen Schauspieler: der Regisseur Talal Derki gibt sich als Islamist aus, um das Vertrauen der Familie zu gewinnen. Er selbst nimmt sich weitestgehend raus, lässt Menschen und Bilder für sich sprechen.
An dieser Stelle sollte natürlich kein opulentes „Eye-Candy“ à la Marvel erwartet werden. Die Kamera präsentiert abwechselnd zärtliche Familienbanden, vom Krieg zerrüttete Landschaften und unkommentierte Einblicke in die Ideologie von Abu Osama und seinen Mitstreitern.
Talal Derki arbeitet bewusst mit Leerstellen und enthält uns manche Bilder vor. Wenn eine Gruppe junger Soldaten der Regierung vor eine Wand geführt wird, braucht es nicht der expliziten Darstellung bis ins letzte Detail – wir wissen, wie diese Szene ausgehen wird.
Der Film lebt weiterhin von der Gegenüberstellung von schon fast paradoxen Bildern: mit rührender Hingabe kümmert sich Abu Osama um seine Söhne, damit sie groß und stark für den Krieg werden.
Gibt’s was zu meckern?
Dieser Film liefert authentische Einblicke in die harschen Lebenswelten der Menschen in Syrien, ohne diese zu kommentieren oder politische Zusammenhänge zu erklären. Wer sich nicht so gut mit der Materie auskennt, wird Vieles nicht auf Anhieb verstehen. Es ist keine Schande, wenn Euch nach 99 Minuten Filmlänge noch Fragezeichen im Gesicht stehen. Wer sich über die politischen Zusammenhänge des Bürgerkriegs in Syrien informieren möchte, wird in anderen Reportagen wahrscheinlich fündiger. Nichtsdestotrotz, oder gerade deshalb, zwingt der Film einen regelrecht dazu, sich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Auf einen Blick
Action: ✪ ✪
Romantik:
Humor:
Niveau: ✪ ✪ ✪ ✪
Bildungsfaktor: ✪ ✪ ✪ ✪
Braucht man Taschentücher?
Der Film ist, trotz weniger expliziter Gewaltdarstellungen, nichts für Zartbesaitete. Für emotionale Aufwühlung wird auf jeden Fall gesorgt: weibliche Lehrerinnen werden von den Jungs mit Steinen beworfen, die Kinder spielen „Minenfeld“ mit extra angefertigten DIY-Bomben, Papa Osama dankt Allah für das Glück, am 11. September einen Sohn geschenkt bekommen zu haben. Viele der Szenen öffnen nicht unbedingt die Tränenkanäle, aber die Münder und führen zu ungläubigem Kopfschütteln.
Mit wem angucken?
Eher ein Film für den Religions- oder Ethikunterricht als fürs erste Date. Alternativ lädt man den Nachbarn, der ständig über „Wirtschaftsflüchtlinge“ lamentiert, auf einen Filmabend ein. Wer die Realität dieser Menschen sieht, wird sich danach garantiert zwei Mal überlegen, ob sie „zurück gehen sollen, wo sie hergekommen sind!“
al-Nusra-Rebellenführer Abu Osama im Kreis seiner Söhne.
Was macht man danach?
Nachdenken, recherchieren, sich weiter mit dem Thema auseinandersetzen, die eigene Privilegiertheit kritisch reflektieren. Osamas Kinder zeigen einem, wie behütet man im Vergleich hierzulande aufgewachsen ist: Wenn der Krieg nicht auf dem Monitor, sondern vor der eigenen Haustür tobt, möchte man wie der junge Ayman doch lieber zur Schule, als zum Militär Camp.
In drei Worten:
Bedrückend, authentisch, relevant.
Große Leinwand oder kleiner Bildschirm?
Der Film profitiert bestimmt von der großen Kinoleinwand. Dennoch geht er hinter die Hirnrinde, egal ob im Großen oder kleinen Rahmen. Vielleicht schaut man den Film sogar bestenfalls im Begegnungscafé gemeinsam mit Menschen, die von ihren eigenen Erfahrungen berichten können.
Mainstream oder Independent?
Der Film ist zwar Oscar nominiert, aber Captain America kommt nicht am Ende des Films, um Osama Junior und seine Brüder vor der 3-jährigen Ausbildung zum Dschihadisten zu retten. So abrupt wir in die Szenerie einsteigen, so abrupt gehen wir wieder und lassen Osama und seine Familie in diesem Alptraum, der ihr Leben ist, zurück. Happy End? Fehlanzeige.
„Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats“
Regie: Talal Derki Protagonisten: Abu Osama und seine Familie Kinostart: 21.03.2019 Filmlänge: 99 Minuten Genre: Dokumentation FSK: 12
Text: Daniel Butt Bildmaterial: Port au Brince Pictures
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