14.15 Uhr, endlich ist die Schule für heute geschafft. Schnell steige ich aufs Fahrrad. Doch anstatt nach Hause oder zu Freunden zu radeln, führt mich mein Weg zur Notunterkunft bei uns hier in Bottrop. Ich gehe die Stufen des ehemaligen Schulgebäudes hoch, in der die Asylbewerber untergebracht sind. Kaum bin ich durch die großen Glasscheiben zu sehen, höre ich schon laute Rufe: „Vanessa, Vanessa, Vanessa!“ Überschüttet von Küsschen und Umarmungen, empfangen mich die Kinder und zerren mich sogleich in den Spielraum. Vorbei an der Security, den Johannitern und den vielen anderen Flüchtlingen, kann ich die Mädchen kaum bremsen zu spielen, malen oder zu puzzeln.
Vergangenheit vergessen lassen
So beginnt ein typischer Arbeitstag für einen Mitarbeiter des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), einen wie mich. Wir betreuen die Flüchtlingskinder und kleiden die Bewohner der Bottroper Notunterkunft ein. Außerdem versuchen wir, die Flüchtlinge durch kleine Aktionen ihre Vergangenheit und gegenwärtige Situation für einen kurzen Moment vergessen zu lassen.
Adresse: Albrecht Dürer Schule, Glückaufstraße 2, 46238 Bottrop
Ansprechpartner: Manolya Karadag und Thorsten Strack, zuständige Dienstleitung der Johanniter
Telefonnummer: 02041/3729575
An diesem sonnigen Nachmittag gehen wir raus auf den Sportplatz, Fußball steht auf dem Programm. Egal, ob groß oder klein, ob dick oder dünn: Viele der insgesamt 200 Menschen nutzen an diesem Tag das gute Wetter und lassen sich die warme Sonne aufs Gesicht scheinen. An einem anderen Tag organisierten wir einen Eiswagen, der jedem ein Eis spendierte. Wenig später sah man nur noch Kinder mit Schokoladen verschmierten Mündern umherlaufen.
Flucht als einziger Ausweg
Doch die Stimmung ist nicht immer so positiv. Auf Grund des großen Spenderherzes der Bottroper Bürger, können wir Neuankömmlingen neue Kleidung geben, so auch einer jungen vierköpfigen Familie aus Syrien. Sie waren Mittelmeer gekentert, landeten in Ungarn im Gefängnis, bevor sie zu uns nach Bottrop kamen. Mit Fußballschuhen an den Füßen, stand die äußerst höfliche und zurückhaltende Mutter vor uns.
Ich konnte ihr das Glück, endlich in Sicherheit zu sein, von den Augen ablesen: „Ich bin froh, dass wir hier sind und ich hoffe in Zukunft Arbeit zu finden, mein Mann studierte Jura und ich Medizin“, übersetzte eine arabisch sprechende Mitarbeiterin. Noch berührender ist die Geschichte der kleinen Abiya, die gemeinsam mit ihrem Opa und ein paar Cousins geflohen ist. Die Flucht schien der letzte Ausweg zu sein, nachdem Abiyas Eltern vor ihren Augen von IS-Kämpfern erhängt wurden.
Zwischen Syrern, Albanern und Nigerianern
Mit Fingerfarbe zu matschen, zaubert vielen
Flüchtlingskindern ein Lächeln ins Gesicht.
Umso schöner ist es, Armbänder mit den Kindern zu flechten, Kreidekunstwerke zu erschaffen oder mit Fingerfarbe zu matschen. Seilspringen gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen der Kinder, wo selbst Abiya und ihre Cousins glücklich
sind, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Das Zusammenleben der verschiedensten Kulturen ist in der Notunterkunft an der Glückaufstraße sehr friedlich. Die Spannbreite der Nationalitäten reicht von Irakern, Afghanen über Leute aus Afrika, dem Kosovo oder dem asiatischen Raum.
Manolya Karadag und Thorsten Strack, die Dienstleitenden Johanniter unserer Einrichtung, sprechen deshalb von einem „kunterbuntem Haus“. Für sie läuft die Zusammenarbeit mit den Organisatoren, der Security und Flüchtlingen „sehr harmonisch“. Meine Mitarbeiter kommen genauso gerne wie ich hierher und haben einige Familien besonders ins Herz geschlossen. Simone Böhmer, die seit Eröffnung der Unterkunft im Juli diesen Jahres als ehreamtliche Helferin dabei ist, war mit einer albanischen Familie Pizza essen und hatte einen schönen Abend intensiven Gesprächsaustausches: „Von manchen Menschen wünsche ich mir mehr Empathie und fordere sie auf, den Mund gegen Hetzte aufzumachen.“
Hoffnung auf ein neues Zuhause
Statt daheim oder mit Freunden
abzuchillen, hilft Vanessa in ihrer Freizeit
in der Notunterkunft aus.
Simone war eine derjenigen, die auch mich in meine Tätigkeiten in der Albrecht-Dürer-Schule einwies. Besonders in der Kleiderkammer war ich fasziniert von der Routine der Mitarbeiter. In der Kleiderausgabe hängt ein Blatt mit Abbildungen der verschiedenen Kleidungsstücke bereit, damit die Bewohner nur auf das benötigte Teil zeigen müssen und die Sprache kein Hindernis darstellt. Außerdem vermerken wir, wie viel jede Familie bereits bekommen hat. So läuft niemand Gefahr, zu viel oder zu wenig Kleidung zu besitzen.
Nach der Arbeit in der Kleiderkammer verabschiede ich mich von den Kindern, die am Ende der zweimal täglich stattfindenden Betreuung gemeinsam im Chor singen: „Alle Leut’, Alle Leut’, gehen jetzt nach haus’.“
Ich hoffe, dass zahlreiche Flüchtlinge in naher Zukunft von der Notunterkunft in eine Wohnung ziehen können und Deutschland ihr „Zuhause“ nennen dürfen.
Text und Fotos: Vaneesa Vohs