Noch ist außer blankem Putz in dem großen Altbauzimmer in Berlin-Neukölln nicht viel zu sehen. Zwei runde Lampen hängen von der Decke, eine staubige Werkbank steht mittendrin, in der Ecke wartet eine Couch. Doch wenn man sich neben Jakob auf besagte Couch lümmelt, bauen sich die fehlenden Möbel fast von selbst zusammen. „Da sind die Schattenbretter für Werkzeuge, dort die Umrahmungen. In die Mitte kommen vier Montageständer. Hier ein Graffiti von befreundeten Künstlern. Das ist der Ausruhbereich.“
Wovon der 31-Jährige mit den bunten Festivalbändchen am Handgelenk erzählt, ist die geplante Fahrradwerkstatt im Berliner Kulturzentrum Refugio. Diese will er mit den anderen Gruppenmitgliedern des Rückenwind e.V. bis zur Eröffnung am 20. September aufbauen. Bis jetzt hat der Verein mehr als hundert Räder gesammelt und diese zusammen mit Flüchtlingen repariert und fahrtüchtig gemacht - ganz „unbürokratisch“, wie Jakob sagt.
Ein bisschen zufrieden sein
Aber wozu Fahrräder sammeln, wenn man sich auch um Wohnraum oder Lebensmittel für die Flüchtlinge kümmern könnte? „Es gibt Leute, die Klettern gehen und Leute, die Fahrradfahren wollen. Angebote auf allen Ebenen zu schaffen, führt dazu, die Flüchtlinge auf allen Ebenen zu integrieren. Solange sie noch nicht anerkannt sind, haben sie keine Bahnkarte – und die Ämter liegen meilenweit auseinander. Auch in der Freizeit braucht man in Berlin einfach ein Fahrrad.
Um den Anfragen von Geflüchteten, die sich Fahrräder wünschen, nachzukommen, braucht der Verein Sachspenden und freiwillige Helfer für die Werkstatt. Unter www.rueckenwind.berlin und www.facebook.com/ werden eure Anfragen schnellstmöglich beantwortet.
Dem stimmt auch Farhad aus Afghanistan zu. „In Berlin muss man ein Rad haben!“ Der 20-jährige ist einer derjenigen, die bei den Aktionstagen ihren Spaß am Schrauben entdeckt haben. Nachdem er vor vier Jahren aus Afghanistan geflohen ist, kam er über den Iran, die Türkei und Griechenland nach Deutschland. In einer lichtdurchfluteten Bäckerei im Berliner Stadtteil Wedding sitze ich ihm bei einem Milchkaffee gegenüber. Er wirkt entspannt, lacht viel, erzählt vom Fußballspielen und der Ausbildung bei den Berliner Verkehrsbetrieben, die er vor kurzem angefangen hat. An seinen ersten Workshop bei Rückenwind erinnert er sich gern: „Es ist eine gute Sache für Flüchtlinge, um sie vom Krieg abzulenken. Aktivitäten, Freizeit, ein bisschen zufrieden sein.“
Um die Workshops vorzubereiten, braucht es eine gute Portion an Planung und Materialen, wie beispielsweise bei Fahrradspenden, die in ganz Berlin eingesammelt werden. Damit die Aktionen klappen, kommen die Mitglieder von Rückenwind e.V. einmal in der Woche zusammen und beraten sich. „Bei unseren Treffen sitzen wir auch gerne mal bis Mitternacht“, verrät mir Jakob, der beim Verein für die Kommunikation auf Facebook verantwortlich ist.
Schrauben, kennenlernen und integrieren
Beim Aktionstag machen die Leute von Rückenwind
Fahrräder für Flüchtlinge fit.
Auch am Tag meines Besuchs finden sich Menschen allen Alters am Tisch im großen Saal des Refugio. Sie reden über glückliche Erlebnisse, für die sich der Aufwand lohnt. „Nach einem Aktionstag schrieben wir eine Danksagung auf Facebook. Darunter hat jemand ein Foto gepostet, auf dem eine Gruppe mit den neuen Rädern einen Ausflug macht“, erzählt der 22-jährige Lukas, der Wirtschaftsingenieurwesen studiert und persönlich lieber in die Pedale tritt, anstatt die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. „Es ist einfach cool zu sehen, dass es funktioniert“, meint auch die 20-järhige Charlotte. „Man lernt Flüchtlinge besser kennen und sie werden in unsere Community integriert.“
Auch Farhad erzählt von schönen Stunden mit Rückenwind. „Ich habe neue Leute kennengelernt, die Stimmung war fröhlich und friedlich. Es war ein guter Tag.“ Nach dem ersten Aktionstag hat er zwei weitere Workshops besucht. Und er kann es kaum erwarten, wieder zu schrauben. Warum? „Damit meine Eltern auch ein Rad bekommen.“
Bleibt die Frage, wie nach der Fertigstellung der Werkstatt der Alltag gestaltet werden soll. „Wir wollen gerne zwei bis drei Mal die Woche offen haben“, stellt Jakob klar. Langfristig ist es der Wunsch der Gruppe, die Flüchtlinge noch besser in die Struktur der Werkstatt einzubinden. „Es wäre schön, wenn wir es schaffen, dass sie ihren Spaß an der Reparatur entdecken und als Mechaniker Schichten leiten und mitarbeiten.“
Fotos: Rückendwind e.V.
Text: Erik Veenstra