Ihr für Flüchtlinge

Mit Rad und Tat

Der Berliner Verein Rückenwind sammelt Fahrräder, um sie mit und für Flüchtlinge zu reparieren. Nach einem halben Jahr und 102 reparierten Drahteseln, hat SPIESSER-Autor Erik vorbei geschaut und nachgehakt: Wie soll die neue Werkstatt aussehen und was bringt Mobilität den Flüchtlingen?

02. October 2015 - 10:29
SPIESSER-Autor sonyerikson.
Noch keine Bewertungen
sonyerikson Offline
Beigetreten: 15.09.2009

Noch ist außer blankem Putz in dem großen Altbauzimmer in Berlin-Neukölln nicht viel zu sehen. Zwei runde Lampen hängen von der Decke, eine staubige Werkbank steht mittendrin, in der Ecke wartet eine Couch. Doch wenn man sich neben Jakob auf besagte Couch lümmelt, bauen sich die fehlenden Möbel fast von selbst zusammen. „Da sind die Schattenbretter für Werkzeuge, dort die Umrahmungen. In die Mitte kommen vier Montageständer. Hier ein Graffiti von befreundeten Künstlern. Das ist der Ausruhbereich.“

Wovon der 31-Jährige mit den bunten Festivalbändchen am Handgelenk erzählt, ist die geplante Fahrradwerkstatt im Berliner Kulturzentrum Refugio. Diese will er mit den anderen Gruppenmitgliedern des Rückenwind e.V. bis zur Eröffnung am 20. September aufbauen. Bis jetzt hat der Verein mehr als hundert Räder gesammelt und diese zusammen mit Flüchtlingen repariert und fahrtüchtig gemacht - ganz „unbürokratisch“, wie Jakob sagt.

Ein bisschen zufrieden sein

Aber wozu Fahrräder sammeln, wenn man sich auch um Wohnraum oder Lebensmittel für die Flüchtlinge kümmern könnte? „Es gibt Leute, die Klettern gehen und Leute, die Fahrradfahren wollen. Angebote auf allen Ebenen zu schaffen, führt dazu, die Flüchtlinge auf allen Ebenen zu integrieren. Solange sie noch nicht anerkannt sind, haben sie keine Bahnkarte – und die Ämter liegen meilenweit auseinander. Auch in der Freizeit braucht man in Berlin einfach ein Fahrrad.

Rückenwind e.V. Berlin
Um den Anfragen von Geflüchteten, die sich Fahrräder wünschen, nachzukommen, braucht der Verein Sachspenden und freiwillige Helfer für die Werkstatt. Unter www.rueckenwind.berlin und www.facebook.com/ werden eure Anfragen schnellstmöglich beantwortet.

Dem stimmt auch Farhad aus Afghanistan zu. „In Berlin muss man ein Rad haben!“ Der 20-jährige ist einer derjenigen, die bei den Aktionstagen ihren Spaß am Schrauben entdeckt haben. Nachdem er vor vier Jahren aus Afghanistan geflohen ist, kam er über den Iran, die Türkei und Griechenland nach Deutschland. In einer lichtdurchfluteten Bäckerei im Berliner Stadtteil Wedding sitze ich ihm bei einem Milchkaffee gegenüber. Er wirkt entspannt, lacht viel, erzählt vom Fußballspielen und der Ausbildung bei den Berliner Verkehrsbetrieben, die er vor kurzem angefangen hat. An seinen ersten Workshop bei Rückenwind erinnert er sich gern: „Es ist eine gute Sache für Flüchtlinge, um sie vom Krieg abzulenken. Aktivitäten, Freizeit, ein bisschen zufrieden sein.“

Um die Workshops vorzubereiten, braucht es eine gute Portion an Planung und Materialen, wie beispielsweise bei Fahrradspenden, die in ganz Berlin eingesammelt werden. Damit die Aktionen klappen, kommen die Mitglieder von Rückenwind e.V. einmal in der Woche zusammen und beraten sich. „Bei unseren Treffen sitzen wir auch gerne mal bis Mitternacht“, verrät mir Jakob, der beim Verein für die Kommunikation auf Facebook verantwortlich ist.

Schrauben, kennenlernen und integrieren

Beim Aktionstag machen die Leute von Rückenwind
Fahrräder für Flüchtlinge fit.

Auch am Tag meines Besuchs finden sich Menschen allen Alters am Tisch im großen Saal des Refugio. Sie reden über glückliche Erlebnisse, für die sich der Aufwand lohnt. „Nach einem Aktionstag schrieben wir eine Danksagung auf Facebook. Darunter hat jemand ein Foto gepostet, auf dem eine Gruppe mit den neuen Rädern einen Ausflug macht“, erzählt der 22-jährige Lukas, der Wirtschaftsingenieurwesen studiert und persönlich lieber in die Pedale tritt, anstatt die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. „Es ist einfach cool zu sehen, dass es funktioniert“, meint auch die 20-järhige Charlotte. „Man lernt Flüchtlinge besser kennen und sie werden in unsere Community integriert.“

Auch Farhad erzählt von schönen Stunden mit Rückenwind. „Ich habe neue Leute kennengelernt, die Stimmung war fröhlich und friedlich. Es war ein guter Tag.“ Nach dem ersten Aktionstag hat er zwei weitere Workshops besucht. Und er kann es kaum erwarten, wieder zu schrauben. Warum? „Damit meine Eltern auch ein Rad bekommen.“

Bleibt die Frage, wie nach der Fertigstellung der Werkstatt der Alltag gestaltet werden soll. „Wir wollen gerne zwei bis drei Mal die Woche offen haben“, stellt Jakob klar. Langfristig ist es der Wunsch der Gruppe, die Flüchtlinge noch besser in die Struktur der Werkstatt einzubinden. „Es wäre schön, wenn wir es schaffen, dass sie ihren Spaß an der Reparatur entdecken und als Mechaniker Schichten leiten und mitarbeiten.“

Fotos: Rückendwind e.V.
Text: Erik Veenstra

Dir gefällt dieser Artikel?

Kommentare

Jetzt bist du dran!
Mehr zum Thema „Ihr für Flüchtlinge
  • Laura...
    Ihr für Flüchtlinge

    Unterwegs an der Grenze

    Fethullah, Sinah und Jannis sind über die Balkanroute ins griechische Idomeni gefahren, wo tausende Flüchtlinge ausharren. Unterwegs haben sie Spenden verteilt, Filme gedreht und andere Ehrenamtliche unterstützt. SPIESSER-Autorin Laura hat mit dem Trio gesprochen.

  • Little Miss Wonder
    Ihr für Flüchtlinge

    Miteinander füreinander

    Freundschaften knüpfen, Spaß haben, Aktionen planen und damit etwas Gutes tun. Helfen ist alles andere als kompliziert. SPIESSER-Autorin Annika gründete mit Freunden eine UNICEF-Hochschulgruppe und hat schon viel erreicht.

  • MarlonJungjohann
    Ihr für Flüchtlinge

    Schulbank drücken mal anders

    In einem fremden Land zu leben, sich anzupassen und die Sprache zu lernen – dazu benötigt es Fachkräfte und viel Papierarbeit? Nichts da! SPIESSER-Autor Marlon besuchte die Düsseldorfer Bürgerinitiative „HispI – Das Lernhaus“ und fand heraus, wie Freiwillige

  • Hella81
    Ihr für Flüchtlinge

    „Alle haben
    irgendwie Angst“

    Immer wieder ist von „besorgten Bürgern“ die Rede. Aber wovor haben sie eigentlich Angst? Ein loser Zusammenschluss von Illustratoren hat sich ihre Ängste und Vorurteile zur Brust genommen und in ihrem Blog „Bildkorrektur – Bilder gegen Bürgerängste“

  • Oriella
    Ihr für Flüchtlinge

    Flüchtlingshilfe statt Weihnachten

    Seit Monaten bricht der Strom an Flüchtlingen nicht ab. Steigende Kontrollen, begrenzte Kapazitäten und politische Restriktionen machen die Flucht jedoch für viele immer härter. Mitte Dezember ist Sascha als Volunteer nach Griechenland gefahren und unterstützt dort seit dem den

  • kleinesinsekt
    Ihr für Flüchtlinge

    Fremde? Freunde!

    Aus Nachbarn Freunde machen. Das hat sich das Mentorenprogramm „Fremde Freunde“ auf die Fahne geschrieben. Das Projekt vermittelt zwischen Flüchtlingen und engagierten jungen Menschen. SPIESSER-Autorin Carolin hat mit Maike gesprochen, die sich seit April regelmäßig mit Mohamad

  • Jelly
    Ihr für Flüchtlinge

    Hilfe bei Kaffee und Tee

    Seit über zwanzig Jahren gibt es das „Café Exil“ in Hamburg schon. Hier können Migranten und Flüchtlinge Hilfe und Beratung bekommen oder sich einfach bei einem Kaffee aufwärmen. SPIESSER-Autorin Jelena sprach mit den beiden Mitarbeitern Florian und Klaus über

  • whityhumbuk
    Ihr für Flüchtlinge

    Freundschaft geht
    durch den Magen

    Sogenannte „Welcome Dinner“ für Flüchtlinge haben über Schweden und Hamburg schließlich deutschlandweit in den heimischen Wohnküchen Einzug gehalten. SPIESSER-Autorin Anh hat für drei syrische Flüchtlinge nicht nur den Kochlöffel geschwungen, sondern

  • Onlineredaktion
    Ihr für Flüchtlinge

    Macht’s
    doch einfach selbst!

    Geflüchteten helfen, ohne lange um den heißen Brei herumzureden? Warum nicht einfach machen, dachten sich die Jugendlichen der „Jugend für Asyl” in Brandenburg, schnappten sich einen Fußball und legten so den Grundstein für eine gelungenes Flüchtlingsprojekt.

  • Nadine98
    Ihr für Flüchtlinge

    Flüchtlingskinder als Geschichtenerzähler

    Sprache verbindet. Das weiß auch Anuschka Weyand und hat kurzer Hand das Projekt WorldWideWords ins Leben gerufen. Dabei kann man als Schreibpate gemeinsam mit Flüchtlingskindern Texte für einen Sammelband schreiben. SPIESSER-Autorin Nadine ist von der Idee begeistert und hat sich mit Anuschka unterhalten.

  • Vannivohs
    Ihr für Flüchtlinge

    Helfen im
    „kunterbunten Haus“

    In der Bottroper Notunterkunft ist immer viel zu tun: Neben abwechslungsreichen Aktionen, wollen die ehrenamtlichen Mitarbeitern den Flüchtlingen vor allem ein Lächeln ins Gesicht zaubern und den tristen Alltag verschönern. SPIESSER-Autorin Vanessa engagiert sich selbst vor Ort.

  • anniejana
    Ihr für Flüchtlinge

    Meine Schule für Flüchtlinge

    Zuhören, sprechen und helfen. Die Schülervertretung eines Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen setzt mit Flüchtlingshilfe von Schülern für Schüler ein Zeichen gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. SPIESSER-Autorin Annika berichtet von ihrer eigenen Schule.

  • happy.hippie60
    Ihr für Flüchtlinge

    Wenn Ehrenamt
    zum Hobby wird

    Seit nun mehr vier Wochen gibt es in Dresden eine Zeltstadt als Auffangstation für den nicht enden wollenden Flüchtlingsstrom. Luise arbeitet dort von Anfang an als Ehrenamtliche. Warum und wie die Zustände wirklich sind, darüber hat sie mit SPIESSER-Praktikantin Anne beim morgendlichen Kaffee gesprochen.

  • a.s.
    Ihr für Flüchtlinge

    Ein Hotel für alle

    Ein Haus, in dem Hotelgäste, Flüchtlinge und Künstler zusammenleben? Engagement kann so vielfältig sein. Im Augsburger Grandhotel Cosmopolis wird das gelebt. SPIESSER-Autorin Anita war vor Ort, hat mitgeholfen und war begeistert.