Wenn man bei zwei Grad durch einen Park rennt oder von 12.-Klässlern mit Essig abgespritzt wird, dann ist man angekommen in der estnischen Schultradition. Maria war mittendrin, statt nur dabei.
14. November 2010 - 13:34 von SPIESSER-Autorin sunsidesenorita.
Maria ist zurzeit mit dem YFU in Estland. Dort macht sie ein Schülerauslandsjahr und wohnt bei einer estnischen Familie. Regelmäßig schreibt sie, was sie erlebt.
Seit meiner Ankunft habe ich schon mit einigen Traditionen Bekanntschaft gemacht und festgestellt, dass sie ein wichtiger Bestandteil der estnischen Kultur sind.
Rebaste ristimini – Fuchstag
Es scheint trotz aller Qualen Spaß gemacht zu haben.
Der Fuchstag ist wohl die brutalste Tradition an vielen estnischen Schulen, an dem die 12. Klassen mit den neuen 10. Klassen anstellen können, was die wollen, um deren Einstieg in die estnische Oberstufe „offiziell“ zu machen.
Zu meinem Glück, muss ich wohl sagen, wurde ich von YFU in die 11. Klasse gesteckt und habe den Tag aus der Sicht des lachenden Zuschauers erlebt. An meiner Schule durften die „Füchse“ in Fischsaft baden, absolut widerliche Sachen essen, im Dreck liegen, viel mehr Aufgaben dieser Art bewältigen und wurden dazu den ganzen Tag mit Essig und anderen undefinierbaren Gemixen bespritzt. In dieser Hinsicht kann ich sagen, dass der Gestank in der kompletten Schule es auch zu einem harten Tag für die anderen Klassen gemacht hat. Da Schadenfreude aber bekanntlich die schönste Freude ist, hatten wir trotzdem Spaß den Füchsen bei ihren Qualen im Nieselregen zuzuschauen.
Alle „Füchse“ des letzten Jahres.
Zum finalen Wettbewerb zwischen beiden 10. Klassen im Park kam dann fast die ganze Schule zum Zuschauen und Anfeuern. Damit die Tortur nicht umsonst war, gab es nachmittags für alle Füchse eine Auszeichnung für ihre Teilnahme. Meine Klassenkameraden, die es ja im letzten Jahr erlebt haben, meinten, dass eigentlich eine ganze Menge Spass dabei ist, so unwahrscheinlich das auch klingen mag.
Õpetajate päev – Lehrertag
Der Lehrertag ist auch wieder ein Tag, an dem die 12. Klassen die größte Rolle spielen. Sie dürfen nämlich für einen Tag Lehrer spielen, wobei einige das mit mehr Enthusiasmus gemacht haben als andere. Diejenigen, die ich an diesem Tag abgekommen habe, waren wohl nicht so ganz bei der Sache. In Englisch haben wir Hangman gespielt, in Deutsch „Finde die richtige Partizip 2 Form“, sonst irgendwie nur rumgesessen und nichts gemacht. Trotzdem war es lustig und das Schönste war wohl, dass alle nach der vierten Stunde Schluss hatten und es keine Hausaufgaben gab.
Kringli Jooksi – Kringellauf
Der Kringellauf kam für mich sehr überraschend am vorletzten Tag vor den Ferien. Von vielen Traditionen hatte ich schon vorher gehört, davon aber nicht. Ohne Handschuhe und Mütze in die Schule gekommen, war ich somit auch nicht darauf vorbereitet erstmal zwanzig Minuten draussen in der Kälte zu stehen, bevor mein Jahrgang endlich dran war.
Beim Kringellauf müssen die Klassen in einer staffelartigen Weise durch den Park rennen, um sich so zum Schluss einen Zuckerkringel und ein warmes Getränk zu verdienen. Der Sinn der ganzen Aktion ist mir irgendwie verborgen geblieben, aber man muss ja auch nicht immer alles verstehen.
180 Jahre Kärdla Ühisgümnaasium
Traditionelle Volkskostüme.
Wie man aus der Zahl der Schulgeburtstages schliessen kann, ist schon die Schule, die ich besuche, an sich eine einzige Traditionseinrichtung und zählt zu den ältesten Schulen in Estland. Alle fünf Jahre findet eine große Feier statt und ich hatte das Glück, dass es dieses Jahr wieder so weit war. Die ganze Schule wurde aufwendig dekoriert, es gab ein zwei Stunden langes Programm, in dem ich unter anderem mit dem Schulchor mitgewirkt habe. Außerdem sehr, sehr viele Menschen in Volkskostümen: Mitschüler, genauso wie deren Eltern und Grosseltern.
Es war ein wunderschönes Fest und sehr interessant für mich das erste Mal estnischen Volkstanz zu sehen. Als der Chor zum Abschluss „Ärkamise Aeg“ angestimmt hat, haben alle mitgesungen, es war eines der sehr wichtigen Lieder der „singenden Revulotion“, über die ich mit Sicherheit auch noch mal genaueres schreiben werde. (Hier könnt ihr das Lied hören.)
Mardipäev – Martinstag
Eigentlich war dieser Abschnitt hier nicht mehr geplant, weil ich nichts davon wusste, dass der Martinstag, was Mardipäev übersetzt heisst, hier gefeiert wird. Ich hab es erst während des Schultages mitbekommen, als eine Gruppe von Jungs aus meiner und unteren Jahrgängen verkleidet in die Klasse kamen und begannen Lieder zu singen.
Abends gehen die Kinder, wie bei uns ans Halloween, was hier übrigens überhaupt nicht gefeiert wird, von Haus zu Haus und erbitten Süssigkeiten. Dafür, dass die Familien ihnen etwas geben, lassen sie den Familien gute Wünsche für das nächste Jahr da. Leider hat das Wetter dieses Mal nicht so mitgespielt und meine kleine Gastschwester war unglaublich traurig, weil meine Gastmutter wegen strömenden Regen nicht mit ihr umhergehen wollte. Ich hoffe doch sehr für sie, dass es nächstes Jahr besser wird.
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Text und Bilder: Maria Haverkamp
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