Gebäude brannten, Steine und Flaschen flogen, Supermärkte wurden geplündert, Ausgangssperren verhängt. So sah die Realität in der Metropole Baltimore im Nordosten der USA vor wenigen Wochen aus. Grund für diese Explosion der Gewalt war der Tod des schwarzen Amerikaners Freddy Gray vor einigen Wochen, der in Polizeigewahrsam verstorben war.
Solche Fälle von womöglich absichtlicher Gewalt weißer Polizisten gegen Schwarze häuften sich in letzter Zeit und lösten einen Aufschrei über vorherrschende Diskriminierung gegenüber Afroamerikanern aus. Stellvertretend für den angeblichen Polizeirassismus in den USA steht allen voran der Ort Ferguson, wo der unbewaffnete schwarze Teenager Michael Brown von einem Polizisten ohne nachweisbaren Grund erschossen wurde.
Typisch Amerika?
Wie im Film: Franz spaziert durch Murfreesboro, eine US-Stadt
wie sie im Buche steht.
Solche Ausschreitungen konnte ich mir vor vier Jahren kaum vorstellen. Da begann ich das „Abenteuer Auslandsjahr“ in der Stadt Murfreesboro, Tennessee, USA. Dieser US-Bundesstaat gilt als einer der konservativsten. Kirchen an jeder Straßenecke, Männer mit bedrohlichen Pistolen am Gürtel und manchmal gar Konfederationsflaggen auf brummenden Trucks. Sie sind ein Zeichen der Südstaaten, die früher Sklaven gehalten haben. Zu den rund sechs Millionen Einwohnern des Staates, gehört rund eine Millionen Schwarze – ein überdurchschnittlicher Wert im Vergleich zum Rest des Landes.
Ich lebte in einer liebevollen weißen Gastfamilie, die in einer Nachbarschaft wohnte, wie man sie aus kitschigen amerikanischen Filmen kennt: riesige liebevoll gepflegte Gärten ohne Zäune, Basketballkörbe im Hof, überdimensionale Ford-Pickups in der Auffahrt. Und zu Weihnachten erstrahlte das Haus durch so viele Lichterketten, dass man Angst um die Stromversorgung der Nachbarschaft haben musste. Schlechte Worte über andere Ethnien verlor meine Gastfamilie nie.
Bitte Rasse angeben
Dass die eigene Hautfarbe in den USA jedoch eine große Rolle spielt, bemerkte ich sehr schnell. Als ich an meinem ersten Schultag einen Anmeldefragebogen ausfüllen musste, wurde ich stutzig. Name, Adresse, Geburtsort und Rasse sollte ich angeben. Rasse? Was soll das denn heißen? Zur Auswahl standen „White – Black – Asian – Hispanic“. Wofür das meine neue Schule von mir wissen wollte, war mir ein Rätsel. Im Nachhinein sollte ich herausfinden, dass die Hautfarbe in fast jeder Statistik auftaucht und damit beinahe so wichtig ist wie das Alter. Kurzum entschied ich mich für „White“ und eilte hungrig in die Cafeteria.
Mit meinem Tablett wagte ich mich in die Schülermassen an den runden Holztischen. Das Bild, das sich mir hier zeigte, überraschte mich, denn die Tische waren sehr ungleich besetzt. Während der größte Teil von weißen Jugendlichen umringt war, saßen an anderen fast ausschließlich Schwarze oder Hispanics, also Mittel- bzw. Südamerikaner. Gemischte Gruppen waren eine Ausnahme. Das spiegelte sich auch im Lehrerkolloquium wider, das zum großen Teil aus Weißen bestand. Mehr als ein Drittel der Schüler waren übrigens afro- oder lateinamerikanischer Herkunft.
Eigenes Auto vs. Schulbus
Diese Abgrenzungen hörten leider nicht am Mensatisch auf. Vor allem die sozialen Unterschiede zeigten sich mir an jedem Schultag aufs Neue: weiße Jugendliche aus schicken Wohngegenden fuhren meist mit dem eigenen Auto zur Schule. Schwarze und Hispanics dagegen nutzten die kostenlosen Schulbusse und lebten in teils heruntergekommenen Gegenden.
Etwa 400 Jahre lang kamen Millionen Afrikaner per Schiff in die USA und wurden als Sklaven verkauft, um vor allem auf den Baumwoll- oder Tabakplantagen in den Südstaaten zu schuften. 1860 lebten in den USA rund vier Millionen schwarze Sklaven. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts war es Abraham Lincoln, der den Sklaven die Freiheit brachte. Für ihn widersprach das Halten von Sklaven dem Geist der amerikanischen Verfassung. Während des Amerikanischen Bürgerkrieges traten die Nordstaaten für die Freiheit aller in den USA lebenden Menschen ein, während die Südstaaten weiter Sklaven halten wollten. Letzlich gewannen die Nordstaaten und erweiterten die amerikanische Verfassung um den 13. Zusatz, in dem die Abschaffung der Sklaverei geregelt ist.
Doch die Hautfarbe macht keinen Menschen weniger klug, ehrgeizig oder fleißig. Vielmehr wurden Schwarze in den USA nicht nur jahrzehntelang als Sklaven gehalten. Das Recht wählen zu dürfen, besitzen sie erst seit rund 50 Jahren. Außerdem wurde ihnen lange der Zugang zu guten Schulen verwehrt. Schuld daran waren fehlende Gleichstellungsgesetze und ein tief verankerter Rassismus in breiten Teilen der amerikanischen Gesellschaft. Noch in den 60er-Jahren erlebte zum Beispiel der sogenannte Kuklux-Klan seine Renaissance. Das ist eine von Verschwörungstheorien umwobene, geheime, rassistische Vereinigung, die vor allem durch ihre unheimlichen weißen Kapuzen bekannt war und jahrzehntelang Jagd auf Schwarze betrieb.
Auch wenn diese dunklen Teile der amerikanischen Geschichte zum Glück vorbei sind, gibt es auch heute noch klare Benachteiligungen. Beispielsweise wenn ein Schüler mit dunkler Hautfarbe einen ordentlichen Schulabschluss in der Tasche hat, sind seine Einstellungschancen noch heute verglichen mit Weißen deutlich niedriger. Genauso wie das Gehalt bei gleicher Qualifikation. Zwar konnte ich das als einfacher Schüler nicht mitbekommen, doch zahlreiche Studien belegen das zweifellos.
Weil du weiß bist
Mit seiner Hautfarbe bekam Franz kaum dumme Sprüche zu
hören.
Trotz allem hielten mich diese Eindrücke nicht davon ab, mich mit Weißen, Hispanics und Schwarzen gleichermaßen anzufreunden. Allerdings erlebte ich so häufig Szenen, in denen meine schwarzen Freunde diskriminiert wurden. Im Supermarkt wurde ich als Weißer sofort bedient – die Hautfarbe des Kassierers änderte daran nichts. War ich gemeinsam mit schwarzen Freunden unterwegs, kam es dagegen manchmal zu Taschenkontrollen am Ausgang, meine blieb dabei stets unberührt. Zu einem meiner schwarzen Freunde sagte ich einmal: „You know, people are so friendly to me, although I am not from here.“ Trocken antwortete er: „That is probably because you are white”.
Überhaupt durfte ich als weißer, europäischer Ausländer die Fülle amerikanischer Herzlichkeit erleben. Neben meiner ohnehin liebevollen Gastfamilie wurde mir immer und überall geholfen. Als ich einmal ganz unamerikanisch mit dem Fahrrad zum Supermarkt fuhr, hielt eine Autofahrerin an, um zu fragen, ob alles in Ordnung mit mir sei und ob sie mich mitnehmen solle. Solche Situationen waren alltäglich. Perfekt war nicht immer alles: manchmal kamen verletzende Kommentare zur Nazivergangenheit, sowohl von schwarzen wie weißen Amerikanern.
Förderungen trotzen Vorurteilen
Obwohl die Sklaverei offiziell abgeschafft war, wurden Weiße und Schwarze in den Südstaaten weiter strikt getrennt. So durften Schwarze in öffentlichen Bussen ausschließlich die hinteren Sitze besetzen. Wurde es eng, mussten sie auch dort aufstehen und den Weißen Platz machen. Martin Luther King wird zum Gesicht einer Bewegung, die sich für gleiche Rechte für Schwarze einsetzt. Präsident John F. Kennedy gibt im Juni 1963 eine Gesetzesvorlage in den Kongress, die die landesweite Rassendiskriminierung abschaffen soll. 1964 verkündet Präsident Lyndon B. Johnson das Gesetz, in dem die Rassentrennung aufgehoben wird. 1965 tritt ein neues Wahlrecht in Kraft.
Mittlerweile gibt es Programme, die ehemals diskriminierte Bevölkerungsgruppen fördern sollen, wie spezielle Stipendien für Schwarze, auch Studienplätze sind ihnen damit leichter zugänglich. Begründet wird das eben damit, dass sie in der Geschichte der Vereinigten Staaten häufig unterdrückt wurde. Ich finde diese Ansätze super. Jedoch dürfen sie nicht dazu führen, dass weiße Studenten mit besseren Noten deshalb keine Studienplätze bekommen. Das schürt weitere Vorurteile. Wichtig ist, dass jeder einen gleichberechtigten, freien Zugang zu Bildung hat.
Inzwischen sind vier Jahre seit meinem USA-Abenteuer vergangen. Noch immer ist im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ die Hautfarbe ein Hindernis, wie es die aktuellen Ausschreitungen in Baltimore zeigen. In meinen Augen existiert immer noch eine Mauer in den Köpfen, die definitiv zum Einsturz gebracht werden muss. Barack Obama, als erster schwarzer US-Präsident allein reicht wohl noch nicht. Es bleibt der Tag herbeizusehnen, an dem alle Menschen – egal welcher Hautfarbe – die gleiche Chance haben, den „American Dream“ zu leben.
Text: Franz Mildner
Teaser-Foto: Flickr.com, User Vadim Lavrusik (CC BY 2.0), Bild beschnitten
Fotos: privat/Franz Mildner
Wow, klasse! Ein wunderbarer Artikel. Faszinierende Recherche und guter sprachlicher Ausdruck. Wirklich ein 1A-Autor. Danke für den Wissenszuwachs.