Arvida Byström ist ein schwedisches Model. Sie sieht aus wie das typische weibliche eurozentristische Schönheitsideal: hellblonde Haare, groß, schlank. Auf Bildern trägt sie oft feminine Pastelltöne, sie wirkt süß, fast mädchenhaft. Und doch bekommt sie seit einer Werbekampagne mit Adidas regelmäßig Morddrohungen wegen ihres Äußeren. Der Grund: Sie möchte ihre Beine nicht rasieren und präsentiert sie lang behaart in einer Schuhwerbung. Was Arvida Byström macht, ist ein Protest, ohne etwas zu machen, genauer gesagt, ohne täglich Zeit mit Rasieren, Waxing oder einer anderen Art der Haarentfernung zu verbringen. Sie protestiert mit ihrem Körper und macht nicht einmal etwas dabei. Es scheint also ziemlich einfach zu sein, mit dem eigenen Körper zu protestieren.
Bisher hab ich mich immer hinter sebstgemalten Pappschildern versteckt und im Chor „gleiches Recht für alle“ gefordert, wenn ich für oder eher gegen etwas meine Stimme erheben wollte. Auch das ist eine wichtige Form des Protestes, aber statt unmittelbar bei mir selbst zu beginnen, habe ich dabei viele Schritte übersprungen. Und dass das auf lange Sicht nicht gutgeht, habe ich spätestens gemerkt, als mir – wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde – die Schamesröte ins Gesicht stieg, als eines Tages eine Handvoll Frauen oben ohne an mir vorbeirannten. Ich fühlte mich ertappt, denn eigentlich trete ich genau für das Gleiche wie diese Frauen ein. Aber ihr Auftreten schien auch für mich noch zu ungewohnt, um hundertprozentig gelassen zu bleiben.
Mit dem Körper zu protestieren, heißt gegen Normen zu kämpfen und dadurch Chaos zu stiften: Das kann auch heißen, Hosen mit Querstreifen zu tragen, auch wenn deine Beine als Problemzone gelten, als Mann bauchfrei wagen, High Heels als große Frau tragen oder, wie es ein paar Jungs in England gemacht haben, Röcke statt der üblichen Hosen der akkuraten Schuluniform. Das Gute am körperlichen Protest: Er tut normalerweise niemandem physisch weh, außer mir selbst. Vielmehr streut der Protest Salz in eine Wunde und drückt noch einmal kräftig zu. Es handelt sich mehr um eine moralische Gewalt, die sagt: „He schau mal, erträgst du das?“
Wenn ich für mehr Diversität bei Körperidealen in den Hungerstreik gehe, muss ich über meine eigenen Grenzen entscheiden. Je stärker ich sie strapaziere, desto mehr meldet sich wohl auch bei anderen die Sanktion: das schlechte Gewissen. Bei dem besagten feministisch angehauchten Oben-ohne-Protest trat die Wirkung schneller ein. Doch in jedem Fall mache ich mir als Außenstehende Gedanken. Körperlicher Protest heißt also nicht nur meine Stimme zu erheben, sondern mich als Ganzes, als Körper, in einer intimen und verletzlichen Art und Weise.
Wenn das nächste Mal jemand durch seinen Körper die Schamtoleranz ausreizen will, möchte ich meine Gesichtsfarbe behalten und sagen können: „Weiter so!“, um der Person den Respekt zu zollen, den sie verdient. Denn körperlicher Protest verlangt vor allem eines: Mut. Was ich mir jedoch an oberster Stelle wünsche, ist, dass Arvida Byström bei Gilette unter Vertrag steht – um für ein Pflegemittel für ihre Körperbehaarung zu werben.
Text: Katharina Petry
Teaserbild: Lena Schulze
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