Wenn der erste Schnee Einzug hält, ist er zur Stelle. Der Winterdienst rückt aus, wenn andere
noch schlafen. Dass man dafür nicht nur nachts raus muss, sondern auch bei Minustemperaturen
ins Schwitzen kommt, hat SPIESSER-Autor Alexander am eigenen Leib erfahren. Ein Härtetest im
Dunkel der Nacht – ganz und gar nicht lustig.
„Heute fahren wir einen Großeinsatz.“ Das hört sich nach viel Arbeit an, denke ich. Zu einer unchristlichen
Zeit, genauer gesagt drei Uhr früh, führt mich der Straßenmeister Anton Lachenmeyer in die Geheimnisse des Winterdienstes ein. Zentimeterhoch liegt der Schnee vor der Fahrzeughalle beim Bauhof in Dillingen, Bayern.
Drinnen stehen die beiden lastwagengroßen, orangefarbenen Fahrzeuge, die dafür sorgen, dass die Menschen ohne Probleme zur Arbeit fahren können. „Bei einem Großeinsatz werden alle verfügbaren Fahrzeuge rausgeschickt. Jeder fährt rund 56 Kilometer und streut die Straßen“, erzählt mir Anton.
Orangene Engel
Bundesstraßen, Landstraßen und Kreisstraßen: Das ist heute Nacht unser Terrain. Die anderen Straßen
erledigen die zuständigen Kommunen. Während wir noch auf einen Kollegen warten, gehe ich mit Anton zu den Umkleideräumen. Hier bekomme ich die berühmte orangefarbene Fleecejacke in die Hand gedrückt. Sie sorgt dafür, dass die Arbeiter nachts nicht von den Autofahrern übersehen werden. Denn auch das ist leider schon vorgekommen.
Schließlich trifft Erich Mayr in der Fahrzeughalle ein. Einen festen Händedruck später bespricht er sich mit Anton. Die beiden kennen sich aus, sind schon lange beim Winterdienst, wissen was zu tun ist. Anton wählt die Nummer der Kollegen in der Außenstelle in Schretzheim. Bevor es losgehen kann, müssen sie
erst die genaue Route für diese Nacht absprechen: Wer welche Straßen macht, wie sie sich aufteilen. Hier
kann ich nicht mitreden.
Schrubben, schwitzen, schufften
Deshalb drückt mir Erich einen großen Besen in die Hand. Ich soll die Halle, in der die Fahrzeuge stehen, vom Schneematsch befreien, der sich hier ansammelt, wenn die großen Laster vom Einsatz zurückkehren. Ich schrubbe die Mischung aus Schnee, Wasser und Schlamm zur Rinne. Schnell muss es gehen, denn gleich müssen die beiden los. Der Schweiß perlt mir von der Stirn – trotz der eisigen Temperaturen. Dann klettern die beiden in ihre Streufahrzeuge und fahren aus der Ausfahrt.
Viele Knöpfe für ein Halleluja.
Die WOLKE muss passen
Die ist jetzt, so gut mir das in der kurzen Zeit gelungen ist, befreit von Schlamm und Schnee. Ich spurte
nach draußen. Die Scheinwerfer und orange blinkenden Warnlichter an den wuchtigen Lkw mit dem
lieblichen Namen Wolke erhellen den großen Wendeplatz vor der Fahrzeughalle. Wie jeden Morgen muss jetzt noch die Technik überprüft werden.
Geduldig erklärt mir Erich, worauf ich achten muss. „Die WOLKE ist wichtig“, schreit er mir entgegen, um
den Lärm der großen Laster zu übertönen. „Also das Wasser, Öl, der Reifendruck, Kraftstoff und die Elektrik.“
Ab auf die Straßen
„Dann kann’s losgehen“, ruft er mir zu, während er die fünf Stufen zum Fahrzeug gekonnt hochklettert. Doch ich scheitere schon an dieser Aufgabe. Erst beim dritten Anlauf meistere ich den Absatz, der senkrecht ins Cockpit führt. Wir rollen mit dem tonnenschweren Wagen aus dem Hof. Das Thermometer
zeigt die aktuellen Temperaturen an: minus drei Grad Luft, minus ein Grad Boden. Geht ja noch – aber gefroren ist eben gefroren.
Alex ist in Gedanken noch im Bett - oder wieder?
Nach einigen Kilometern beginnt unser Gebiet und ich darf das Streugerät anstellen. Zwei Tasten drücken – das war‘s. Hinten am Fahrzeug beginnt der große Arm mit dem Teller, aus dem das Salz kommt, seine Arbeit. Der hat eine Reichweite von acht Metern. Auch der kann von der Fahrerkabine aus mit wenigen Tasten gesteuert werden.
„Wichtig ist, dass das Salz möglichst mittig auf der Straße platziert wird, wo die Autos später fahren“, erklärt Erich, während er den Wagen durch die weitestgehend autofreien Straßen lenkt. Wenn mehr Verkehr ist, gab es auch schon öfter Unfälle. „Die Leute fahren oft wie die Wahnsinnigen“, schimpft Erich. Viele überholen das Streufahrzeug wagemutig, kommen dann ins Schlittern und landen im Straßengraben.
Ich geh lieber wieder schlafen
Seit 36 Jahren sorgt Erich für freie Straßen. 68 Kilometer später sind wir wieder in der Zentrale. Viel ist in dieser Nacht nicht passiert. Doch die Arbeit ist längst nicht vorbei. Der Lkw muss für die nächste Fahrt aufgefüllt werden. Sein Kollege ist schon vor uns da, hat den Gabelstapler mit dem Streusalz vorbereitet und schüttet es durch die Gitter in die Öffnung der Wolke. Wir stehen oben auf der Brücke mit Schaufeln bewaffnet und warten darauf, das Salz verstreichen zu können. Zwei Mal schieben wir das Salz so, dass nichts herausfliegt. Und das macht sich in meinen Armen bemerkbar.
Es ist mittlerweile sieben Uhr morgens. Noch immer ist es dunkel und ich werde langsam müde. Nachdem wir den Wagen betankt haben, verabschiede ich mich. Ich bin froh, als ich den Bauhof hinter mir lasse. Für mich wäre es nichts, jeden Morgen bei Wind und Wetter aus dem Bett zu steigen. Und das für eine Arbeit, die von vielen nicht gewürdigt, aber dringend benötigt wird. „Es kann sein, dass wir gleich wieder ausrücken müssen“, sagt Erich und verabschiedet sich ins Dunkel der Nacht.
Text: Alexander Millauer
Fotos: Johannes Mairhofer
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