Minus zwanzig oder plus dreißig Grad – das ist dieser nicht näher definierten „Citybootcamp-Spezies“ egal. Wie früher Soldaten für den Kriegseinsatz trainiert wurden, so trainiert heute auch der gemeine Großstädter. Denn fit sein in der City ist angesagt. SPIESSER-Autor Henric hat dabei nur ein Ziel: zum unglaublichen Hulk mutieren.
15. September 2015 - 16:06 SPIESSER-Autor Henk Marzipan.
Es sind 30 Grad Celsius. Der Schweiß tropft mir von der Stirn auf die Nase und das Gras unter mir. Langsam senke ich meinen Körper in Richtung Wiese hinab. Noch zehn Wiederholungen. Meine Arme zittern, stoppen – und ich breche schließlich unter Stöhnen zusammen. Das Grün unter mir hat sich seinen Weg in meinen Mund gebahnt. Was tue ich mir hier an?
Hier hat Henric noch gut lachen
Als mich vor einigen Wochen der SPIESSER fragte, ob ich einen Härtetest im Bootcamp machen wolle, hatte ich meine Zweifel: Ich habe zwei große Brüder, die naturgegeben immer mehr Kraft hatten, um mich in den Schwitzkasten zu nehmen. Ich war immer der Kleine. Daran änderten auch die diversen Sportvereine nichts. Leichtathletik, Schwimmen, Basketball – immer war ich nur so mittel. Aber vielleicht ist das Bootcamp meine Chance, zum unglaublichen Hulk zu werden, meine Grenzen zu überwinden, und mich tatsächlich zu Höchstleistungen zu bringen.
Trainieren wie beim Militär
Der Begriff Bootcamp kommt von amerikanischen Trainingslagern, in denen junge Rekruten körperlich und geistig auf das Schlimmste vorbereitet wurden. Das bestand damals aus Liegestützen, Kriechen unter Stacheldraht und einem Offizier, der seine jammernden Rekruten anschrie. Das hat mir zumindest Hollywood beigebracht. Ich gehe heute zur für Friedenszeiten angepassten Variante: „Citybootcamp“ nennt sich das Konzept und besteht im Grunde aus Ganzkörperkrafttraining in der Gruppe im Park. Bei jedem Wetter. Auch im Schnee oder Wüstensturm.
So komme ich mit gemischten Gefühlen beim Training an. Heute also bei 30 Grad gefühlter Wüstensturm. Mir gegenüber steht Daniel: Ungefähr 1,75 Meter tätowierte, bärtige Muskelkraft mit einem gewinnenden Lächeln im Gesicht. Er ist unser Trainer für heute. In der Gruppe finden sich Menschen verschiedenster Kategorien: Die Studentin im Baumwollshirt und Adidas Schuhen, aber auch der durchtrainierte, kernige Barfußläufer. Ich fühle mich im ersten Moment nur wenig eingeschüchtert. Wenn die das schaffen, sollte das doch hinzukriegen sein! Diese Überheblichkeit wird mir noch gründlich ausgetrieben werden.
Eine Runde um den Teich… mit 150 Kniebeugen
Auf einer Wiese im Park stellen wir uns im Kreis auf. Wir starten mit Aufwärmen und Mobilisation, also so etwa wie Dehnen, nur viel anstrengender. Dass ich wahnsinnig ungelenkig bin, war mir schon vorher klar, nur habe ich gehofft, in den ersten fünf Minuten noch schmerzfrei zu bleiben. So verzerre ich mein Gesicht und löse mich mühsam aus den Verrenkungen, um mit der Gruppe loszujoggen. „Eine kleine Runde um den Parkteich“, sagt Daniel. Hey klar, das bekomm ich hin. „Und an jeder Parkbank machen wir halt und machen zehn Kniebeuge.“ Nun, das ist was anderes, aber doch zu schaffen, oder? Bei Parkbank 15 (ergo Kniebeuge 150) zittern meine Beine. Daniel klopft mir ermutigend auf die Schulter: „Bei den Bänken, auf denen Leute sitzen, machen wir nicht halt.“ Puh! Zwei Parkbänke weniger!
Kämpfen, immer weiter kämpfen – das ist die Devise.
Angekommen geht das Training erst richtig los: Fünf verschiedene Varianten der Bauchmuskelfolter, unterbrochen von Liegestütze, gefolgt von exotischeren Übungen. Mal liegend, mal auf einem Bein stehend, in jedem Fall unfassbar fordernd, geht es durch das Handbuch des funktionalen Fitnesstrainings. Aufgeben? Keine Option. Übung um Übung kämpfe ich, beiße ich und tue, was ich kann, um mit Studentinnen und Barfußläufern mitzuhalten. Die Gruppendynamik tritt mir mental in den Hintern.
Ich will mir schließlich keine Blöße geben. Außerdem kämpfen die anderen genauso wie ich. Sacken mir doch mal die Arme weg und bleibe ich büschelweise Wiese ausspuckend im Gras liegen, kommt Daniel und treibt mich noch mal an. Nicht wie ein US-Offizier, sondern freundlich und bestimmt. Meine Muskeln brennen und schmerzen – das müssen die ersten Zeichen meiner Verwandlung zum Hulk sein. Ob ich schon leicht grün bin?
Ziemlich platt, aber glücklich: Henric
mit seinem Peiniger Daniel
Schlimm wird es nach zwei Tagen
Irgendwann ist es geschafft. Nach der letzten Übung applaudieren wir uns gegenseitig. Jedem hier tropft Schweiß und Stolz aus allen Poren. Wir haben es überlebt, wenn auch nur knapp. „Wart mal ab“, sagt mir Caroline, die jede Woche hier ist, und neben mir trainiert hat. „Der Muskelkater ist erst nach zwei Tagen richtig schlimm.“ Jetzt sitze ich hier zwei Tage später und habe Schmerzen am ganzen Körper. Selbst das auf die Toilette setzen tut richtig weh. Das müssen die Nachwirkungen von meiner Hulk-Verwandlung sein. Aber Spaß beiseite, ich erwarte natürlich nicht, nach einem Training plötzlich nur noch aus Muskeln zu bestehen. Andererseits wäre das Bootcamp schon eine Möglichkeit, das zu erreichen. Die professionelle Anleitung ist super. Das Gruppengefühl ist großartig. Jeder profitiert von der Dynamik, kann sein eigenes Tempo
vorlegen oder sich an den Stärkeren orientieren.
Vielleicht komme ich wieder. Jetzt, wo ich weiß, was mein Körper so aushält, wäre es schon spannend, es noch einmal zu versuchen. Dann hoffentlich mit weniger Parkgrün zwischen den Zähnen.
Text: Henric Abraham
Fotos: Norbert Neumann
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